Zeitenwende: Der Beginn einer neuen Weltordnung
Die Beteiligung Chinas am Hamburger Hafen hat zu Streit in der Ampelkoalition in Berlin und zu Diskussionen über einen neuen Umgang mit den kommunistischen Machthabern geführt. Was bezweckt Peking mit seinen Infrastrukturinvestitionen?
Christian Hiller von Gaertringen: China, das als Reich der Mitte bezeichnet wird, befindet sich geopolitisch in einer Randlage. Richtung Osten ist es begrenzt durch das chinesische Meer und nach Westen hin durch die große Landmasse. Ein großes Ziel, das China mit der neuen Seidenstraße vorantreibt, ist die Anbindung durch eine moderne Infrastruktur an den Rest der Welt. Eine Eisenbahnverbindung reicht bis nach Duisburg. Die Stadt ist mittlerweile eine der Hochburgen der chinesischen Wirtschaft in Europa. Auch die Investition am Hamburger Hafen und der Aufbau eines Netzes von Seehäfen sind Teil dieses Ziels.
Warum haben die Deutschen die Beteiligung Chinas am Hamburger Hafen nicht einfach abgelehnt?
Hiller: Die Frage ist, ob sie das überhaupt noch tun können. Aufgrund der hohen Exportabhängigkeit achtet Deutschland sehr darauf, die Beziehungen zu China nicht in irgendeiner Weise zu gefährden. Andere Länder wie Frankreich oder die USA, die sich weniger abhängig von China gemacht haben, können in ihrer Politik freier auftreten.
China ist diplomatisch zurückhaltend und hat bisher nicht versucht, politische Führungsposition in anderen Ländern zu beanspruchen. Wird Xi Jinping in seiner neuen Amtszeit forscher auftreten?
Hiller: Das ist die große Frage. Gibt er sich mit der bisherigen Außenpolitik zufrieden oder sucht er doch die verstärkte politische Einflussnahme? Es ist symptomatisch für die chinesische Außenpolitik, dass sie bewusst Zweifel sät und sich nie völlig in die Karten blicken lässt. Denn alles, was gesagt wird, können Nebelkerzen sein.
Ich denke, dass das amerikanische Zeitalter nicht durch ein chinesisches abgelöst wird, sondern dass wir eine multipolare Welt bekommen, in der verschiedene Wachstumszentren entstehen, die untereinander konkurrieren werden.
Dahinter steckt aber ein langfristiger Plan einer Partei, Chinas Einfluss auf die Welt auszuweiten.
Hiller: Dazu muss man die Geschichte verstehen. China war über Jahrhunderte deutlich weiter entwickelt als Europa, mit einer hochstehenden Kultur und bahnbrechenden Erfindungen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnten europäische Kolonialmächte in China Fuß fassen, weil das Kaiserreich so heruntergewirtschaftet war. Diese Zeit wird als sehr traumatisch empfunden. China soll wieder an den alten Platz in der Welt zurückgeführt und als ein großes prosperierendes Reich wahrgenommen werden.
Handelt China wie eine Kolonialmacht, etwa in Afrika?
Hiller: Es ist verkürzt, die Beziehungen Chinas zu Afrika auf ein Kolonialverhältnis zu reduzieren. Die Beziehungen Chinas zu Afrika haben eine längere Tradition als in Europa. Zudem wird auch eines der am meisten verkannten Bündnisse übersehen – jenes der blockfreien Staaten, das sich in den 1950er-Jahren als Alternative zum Ost- und Westblock herausgebildet hat. Das ist ein Band, das bis heute besteht. China war nach dem Zweiten Weltkrieg etwa auf demselben Entwicklungsstand wie Afrika und ist aus eigener Kraft zu dem geworden, was es heute ist. Das bewundern viele Afrikaner. Auf der anderen Seite sehen sie, dass China in ihren Ländern Einfluss nimmt. Für die Auseinandersetzung mit China sehe ich Europa schlecht gerüstet. Denn die Investitionen in Infrastrukturen wie Seehäfen, Eisenbahnlinien oder Flughäfen sind nicht nur Grundlagen für den Aufschwung, sondern es werden auch Normen für die künftigen Beziehungen in Afrika festgesetzt, etwa mit chinesischer Kommunikationstechnologie, die für Eisenbahnen notwendig ist. Diese Normen setzen zunehmend die Chinesen und nicht mehr Europäer oder Amerikaner.
Für die Auseinandersetzung
mit China sehe ich Europa schlecht gerüstet.
China beansprucht eine globale Führungsrolle und will die USA-dominierte Weltordnung ablösen. Sehen Sie das auch so?
Hiller: Ich denke, dass das amerikanische Zeitalter nicht durch ein chinesisches abgelöst wird, sondern dass wir eine multipolare Welt bekommen, in der verschiedene Wachstumszentren entstehen, die untereinander konkurrieren werden. Die großen Veränderungen, die derzeit in der Welt stattfinden, lassen sich deshalb nicht auf den Aufstieg Chinas verkürzen. Was in den vergangenen 20 Jahren in Ländern wie Indien, der Türkei oder in vielen Ländern Afrikas geschehen ist, wird die Welt genauso verändern, wenn auf Dauer gesehen nicht noch mehr und am Ende tiefgreifender.
Also eine andere Art der Globalisierung?
Hiller: Wir müssen erkennen, dass sich die Spielregeln verändern und dass die westliche Welt immer weniger Möglichkeiten hat, ihre Vorstellungen von politischen und wirtschaftlichen Prioritäten durchzusetzen. Mit dem Aufstieg der Schwellenländer werden auch andere Werte in den Mittelpunkt rücken. Die Werte der Aufklärung sind nicht so universell, wie Europäer und Amerikaner glauben.
Was meinen Sie damit?
Hiller: Hinter der Globalisierung steht der Gedanke, dass die Hochtechnologie-Nationen ihre Lohnfertigung in Schwellenländer verlagern, um dort kostengünstig produzieren zu können. Jetzt müssen wir feststellen, dass die Schwellenländer sich nicht an diese Regeln halten, sondern begonnen haben, eigene Produktionen aufzubauen. Huawei ist weltweit führend bei Wechselrichtern. Der führende Chiphersteller der Welt sitzt in Taiwan. Stahl wird heute vorwiegend in China und Indien hergestellt. Diese Arbeitsteilung, die wir uns vor 30 Jahren ausgedacht haben, die funktioniert so nicht, weil die Schwellenländer aufgeholt haben und sie natürlich auch einen entscheidenden Vorteil haben: Sie betrachten den technischen Fortschritt in der Regel als Verbesserung. Wenn bei uns Neuerungen kommen, diskutieren wir diese sehr schnell unter dem Risikoaspekt.