Wettbewerbsbehörde: "Man muss immer wachsam sein"
Um ein Bild aus dem Fußball aufzugreifen: Sehen Sie sich bei der BWB in einer Art Schiedsrichterrolle, die für Fair Play in der Wirtschaft sorgt?
Natalie Harsdorf-Borsch: Ich bin zwar nicht wirklich Expertin für diese Sportart. Aber Regeln als Rahmen festzusetzen und innerhalb dieser Regeln so viel Wettbewerb und so viel Spiel wie möglich zuzulassen – in diesem Sinne kann man das gut vergleichen.
Eine Behörde, die für Wettbewerb sorgt, klingt nach einem Widerspruch.
Harsdorf-Borsch: Gar nicht. Es ist kein Zufall, dass die USA, die als Mutterland von Wettbewerb und Marktwirtschaft gelten, Vorreiter im Wettbewerbsrecht sind, wenngleich Europa etwa im digitalen Wettbewerbsrecht mit dem „Digital Markets Act“ sowie dem „Digital Services Act“ die Nase inzwischen vorne hat. Viele moderne Instrumente wie das Kronzeugenprogramm, über das Firmen in einem Kartellverfahren die Möglichkeit haben, mit der BWB zusammenzuarbeiten, stammen aus den USA.
Dennoch sehen manche ein Grundmisstrauen der Kartellbehörden gegenüber der Marktwirtschaft. Ist da etwas dran?
Harsdorf-Borsch: Es ist genau umgekehrt. In Staaten, die eine ausgeprägte Marktwirtschaft haben, sind die Kartellbehörden besonders stark. Sie sichern jene Freiheit, die Unternehmen in einer freien Marktwirtschaft benötigen. Man darf nicht vergessen: Viele Beschwerden, die bei uns eingehen, stammen von Unternehmen und richten sich gegen andere Unternehmen, die den Wettbewerb in ihrem Markt behindern.
Klein- und Mittelbetriebe sehen sich Marktkräften ausgesetzt, die oft ihre Existenz gefährden. Erwarten sich KMU zu viel von der BWB?
Harsdorf-Borsch: Natürlich werden wir auch mit Themen befasst, die außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs liegen. Der Gesetzgeber hat unsere Aufgaben eng definiert: Über Österreich hinaus können wir nicht auf geopolitische Themen Einfluss nehmen. Wir können auch nicht den Markt auf der Rohstoffebene beeinflussen. Wo wir Einfluss nehmen können, ist das Geschehen in Österreich – und wir sind Teil des europäischen Wettbewerbsnetzes. Das heißt, wir können auf Ebene der Kommission hinwirken, um Missstände zu thematisieren.
Es ist kein Zufall, dass die USA, die als Mutterland von Wettbewerb und Marktwirtschaft gelten, Vorreiter im Wettbewerbsrecht sind.
Ist die derzeitige krisenhafte Lage eine gute Zeit für Kartelle und Oligopole?
Harsdorf-Borsch: Es gibt empirische Untersuchungen in beide Richtungen. Zum einen steigt in Krisen die Gefahr der Kartellbildung – andererseits zerbrechen bestimmte Kartelle. Gerade in Krisenzeiten wäre es aber fatal, verbotene Absprachen zuzulassen und damit weitere Hürden am Markt aufzubauen. Die ökonomische Literatur zeigt, dass gerade dann auch ein Vollzug notwendig ist.
Ist Marktkonzentration ein Trend?
Harsdorf-Borsch: Studien in den USA zeigen, dass es zu stärkeren Marktkonzentrationen gekommen ist. Man hat den Eindruck, dass die neue Führung der Wettbewerbsbehörde in den USA unter Joe Biden einen strengeren Kurs fährt. In Europa kann ich diesen starken Konzentrationstrend nicht beobachten. Aber man muss immer wachsam sein.
Baukartelle tauchen immer wieder auf: Schrecken Strafen zu wenig ab?
Harsdorf-Borsch: Es hat in den 1990er-Jahren schon Strafverfahren wegen Absprachen bei Ausschreibungskartellen gegeben. Damals gab es weder ein Kartellrecht in dieser modernen Form noch eine Wettbewerbsbehörde. Unsere dokumentierten Verstöße reichen von 2002 bis 2017, und es darf die Vermutung aufgestellt werden, dass die Verfahren nicht ausreichend gewirkt haben. Meine Hoffnung ist es aber, dass die Untersuchungen durch die BWB und die Bußgelder, die durch das Kartellgericht verhängt werden, eine nachhaltige Kulturänderung bewirken. Denn parallel dazu laufen oft auch Strafverfahren von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die Verfahren der BWB können auch Auswirkungen beim Vergaberecht haben und Schadenersatzverfahren nach sich ziehen. Angenehm ist das alles für die Betroffenen nicht, daher sollte es doch Wirkung zeigen. Es wichtig, dass in diesen Unternehmen entsprechende Compliance-Verfahren getroffen werden, damit es in zehn Jahren nicht wieder das nächste Baukartellverfahren geben wird, zumindest nicht in diesem Ausmaß.
In den letzten Monaten standen hohe Preise im Zentrum Ihrer Untersuchungen. Wie gehen Sie vor?
Harsdorf-Borsch: Bei der sogenannten Sektoruntersuchung beleuchten wir einen Markt, um eine Daten- und Faktenlage zu schaffen. Dieser Bericht soll es Gesetzgeber und Öffentlichkeit ermöglichen, einen politisch-regulatorischen Diskurs zu führen. Die Bundeswettbewerbsbehörde darf aufgrund einer Sektoruntersuchung jedoch nicht selbst Maßnahmen ablesen. Wir können weder Preise regulieren noch Preisempfehlungen abgeben. Ich glaube dennoch, dass diese Berichte einen hohen Mehrwert haben, weil wir einen ganz anderen Zugang zu Daten haben als etwa Wirtschaftsforschungsinstitute. Unternehmen müssen uns alles offenlegen. Wir könnten das auch gerichtlich durchsetzen, um an diese Daten kommen. Das ist schon eine andere Ausgangslage als zum Beispiel bei Journalisten.
Deutschland denkt Verschärfungen im Wettbewerbsrecht an, inklusive Zerschlagung von Unternehmen. Braucht es so harte Eingriffe?
Harsdorf-Borsch: Wir kennen Zerschlagungen bisher nur aus den USA oder aus Großbritannien. Sollte dieses Instrument in Deutschland tatsächlich eingesetzt werden, gehe ich davon aus, dass Zerschlagungen oder Entflechtungen äußerst selten zur Anwendung kommen werden. Letztlich ist es eine politische Frage, welche Instrumente einer Wettbewerbsbehörde zur Verfügung stehen. In Österreich wäre die Lage ohnehin anders, weil die Entscheidungsbehörde das österreichische Kartellgericht ist und die BWB nur ein Antragsrecht hat.
Warum ist der Diesel noch immer um 20 Cent teurer als Benzin?
Harsdorf-Borsch: Der Treibstoffmarkt ist kompliziert und unterscheidet sich stark von anderen Märkten darin, wie in der Wertschöpfungskette Preise und Mengen gebildet werden. Der Unfall in der Raffinerie war zeitlich noch nicht Gegenstand der Untersuchung. Wir haben stark gestiegene Raffineriemargen festgestellt, aber keinen nachhaltigen Anstieg der Margen bei den Tankstellen festgestellt. Das heißt aber nicht, dass der Wettbewerb hier bestens funktioniert und wir nicht weiterhin ein Auge auf diesen Markt werfen.
Viele Beschwerden, die bei uns eingehen, stammen von Unternehmen und richten sich gegen andere Unternehmen, die den Wettbewerb in ihrem Markt behindern.
Eine hohe Konzentration herrscht im Lebensmittelhandel. Die BWB untersucht die hohen Preisanstiege der Branche. Gibt es schon konkrete Ergebnisse dazu?
Harsdorf-Borsch: Es ist eine breit angelegte Untersuchung, für die wir derzeit Stakeholdergespräche durchführen, danach wird eine umfangreiche Datenabfrage bei Produzenten und Handelskonzernen erfolgen. Die Abfrage ist auf einen bestimmten Mikro-Warenkorb bezogen, den wir in den nächsten Wochen festlegen werden. Unter die Lupe genommen wird auch der Onlinebereich und der Vertrieb von Lebensmitteln. Was an uns immer wieder herangetragen wird, sind die wettbewerblichen Auswirkungen von Eigenmarken. Mit Ergebnissen der Untersuchung rechnen wir Mitte 2023.
Müssen die großen Digitalkonzerne zerschlagen werden?
Harsdorf-Borsch: Ich bin selbst hier vorsichtig. Bevor man mit harten Instrumenten in den Markt eingreift, muss man eine sehr genaue Analyse durchführen und auch zukünftige Entwicklungen mitbedenken, weil gerade die Digitalmärkte sehr schnelllebig sind.
Wie gut funktioniert das Whistleblower-System?
Harsdorf-Borsch: Das Hinweisgebersystem setzt auf anonyme Eingaben – mit wachsendem Interesse. Nach der Einführung 2018 zählten wir 39 Eingaben, 2021 waren es mit 78 doppelt so viele, davon haben 27 Eingaben zu Ermittlungen geführt. Das ist ein hoher Prozentsatz und somit ist dieses Instrument hilfreich. Wichtig zu wissen: Unser System wird auch von Unternehmen genutzt.
Die BWB ist im Wirtschaftsministerium angesiedelt. Kommt es hier nicht zu Interessenkonflikten?
Harsdorf-Borsch: Wichtig sind zum einen klare gesetzliche Absicherungen für die Unabhängigkeit, aber natürlich auch wie diese gelebt werden. Ich freue mich, wenn auch gesehen wird, was die BWB für den Wirtschaftsstandort leistet.
Sie sind Interimschefin der BWB, wissen Sie schon, ob Sie offiziell zur Generaldirektorin bestellt werden?
Harsdorf-Borsch: Nein, das weiß ich nicht. Diese Entscheidung liegt außerhalb meines Einflussbereichs, ich versuche nur, meinen Job so gut wie möglich zu machen. Und ich denke, das ist mir und meinem Team in den letzten Monaten ganz gut gelungen.
Zur Person
Natalie Harsdorf-Borsch (37) arbeitet seit 2009 in der Behörde, seit 1. Dezember 2021 führt die BWB interimistisch. Sie ist die erste Frau im öffentlichen Dienst, die den Award „Juristin des Jahres“ erhalten hat. In der EU werden nur vier von 27 Wettbewerbsbehörden von Frauen geführt.
BWB
Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) wurde 2002 ins Leben gerufen, um den Wettbewerb in Österreich zu gewährleisten. Nach dem überraschenden Rücktritt von Theodor Thanner vor einem Jahr, leitet Natalie Harsdorf-Borsch die Behörde, die im Ministerium von Martin Kocher angesiedelt ist, interimistisch. Budget und Personalausstattung der BWB sind im europäischen Vergleich gering. Thanner beklagte zuletzt Interessenskonflikte der BWB mit dem Wirtschaftsministerium und attestierte den Beamten dort ein „wettbewerbsfeindliches Mindset“.