Haben wir keine anständigen Politiker verdient?
Kann der Vertrauensverlust in die Politik überhaupt wieder „repariert“ werden?
Lisz Hirn: Die Geschichte belegt, dass es immer wieder Vertrauensverluste gab und auch wieder Vertrauen gefasst wurde. Natürlich ist das wiedergutmachbar. Das Problem ist: Wir sind unter Zeitdruck. Vertrauen aufzubauen dauert jedoch viel länger, als es zu verlieren. Die Schwierigkeit ist, dass wir gerade jetzt extrem viel Vertrauen bräuchten, um die Probleme zu lösen – und es ist nicht da. Es wird großer Anstrengungen beider Seiten bedürfen, sowohl der Berufspolitiker als auch der Zivilgesellschaft. Das ist eine Beziehung, an der beide arbeiten müssen.
Kein Wunder also, dass die Parteien kaum noch Nachwuchs finden. Wer tut sich Positionen an der Spitze überhaupt noch an?
Hirn: Es wird sich immer jemand finden, der in die Politik geht – die Frage ist: Sind es die „Richtigen“, die wir als kompetent und sozial verantwortlich einschätzen? Wir sehen, dass wir gerade einen Politiker-Typus anziehen, der nicht unbedingt seriös arbeitet, nicht sozial orientiert ist oder auch nicht bereit ist, die Wirtschaft zurückzustellen und die Ökologie, die Jugend und die Älteren in den Fokus zu nehmen. Der Politiker-Typus, den wir in den letzten Jahrzehnten möglich gemacht haben, ist einer, der jetzt wenig taugt, die Probleme zu lösen. Dadurch, dass wir auch als Kollektiv ständig betonen, dass die Politik kein „anständiger“ Job ist, ziehen wir nicht die Richtigen an. Ich kenne junge Leute, die aktivistisch tätig sind und sich engagieren, aber für sich vollkommen ausschließen, jemals in die Politik zu gehen, weil das so ein „schmutziges Geschäft“ sei. Daran müssen wir arbeiten. Das hat nicht nur mit den jetzigen Politikern zu tun, sondern auch mit uns als Zivilgesellschaft, die sagen muss: Wir wollen eine andere politische Kultur.
Dadurch, dass wir als Kollektiv ständig betonen, dass die Politik kein anständiger Job ist, ziehen wir nicht die Richtigen an.
Ihr Buch heißt „Macht Politik böse?“. Verändern sich Menschen mit ihren Ämtern?
Hirn: Ja, es macht etwas mit ihnen. Das trifft zweifellos auch auf andere Jobs zu, aber Politiker bekommen Macht von uns verliehen, unsere Stimme. Was passiert, wenn einer mehr Macht bekommt als alle anderen? Führt das unweigerlich zu Machtmissbrauch? Natürlich ist das möglich, auch in den bestfunktionierenden Demokratien. Deshalb war von Anfang an mitgedacht, dass es Institutionen und Mechanismen braucht, Menschen nach Verfehlungen oder bei Vertrauensverlust aus ihren Ämtern zu heben und Freunderlwirtschaft in Grenzen zu halten.
Man darf alles, so lange es keiner mitbekommt – herrschte früher genauso viel Freunderlwirtschaft, doch jetzt kommt durch die sozialen Medien mehr ans Tageslicht?
Hirn: Früher war nicht alles besser, aber anders. Die sozialen Medien und die Digitalisierung bringen es natürlich schneller ans Licht und an eine breitere Öffentlichkeit. Das macht den Politiker-Job gleichzeitig immer unattraktiver, weil man kein Privatleben mehr hat, sich nicht mehr vom Amt abgrenzen kann. Man darf sich keinen Fehler leisten – es wird schwierig, den Job so zu verkaufen. Die Privatperson sollte stärker geschützt werden. Das würde den Beruf vielleicht für junge Leute wieder interessanter machen.
Der Beruf des Politikers ist weder auf den des Managers noch auf den des Experten reduzierbar.
Man darf alles, so lange es keiner mitbekommt – herrschte früher genauso viel Freunderlwirtschaft, doch jetzt kommt durch die sozialen Medien mehr ans Tageslicht?
Hirn: Früher war nicht alles besser, aber anders. Die sozialen Medien und die Digitalisierung bringen es natürlich schneller ans Licht und an eine breitere Öffentlichkeit. Das macht den Politiker-Job gleichzeitig immer unattraktiver, weil man kein Privatleben mehr hat, sich nicht mehr vom Amt abgrenzen kann. Man darf sich keinen Fehler leisten – es wird schwierig, den Job so zu verkaufen. Die Privatperson sollte stärker geschützt werden. Das würde den Beruf vielleicht für junge Leute wieder interessanter machen.
Kann ein moralischer Politiker in dieser Welt überhaupt mitspielen?
Hirn: Wenn Sie mit dem Wort „moralisch“ anständig meinen, dann ja, auf jeden Fall! Es ist ja lustig, dass es als Widerspruch gesehen wird, das ist ein neues Phänomen. Es geht ständig um Moral in der öffentlichen Diskussion, sie wird von allen Seiten politisch bemüht. Doch die Frage ist: Was sind die Grundzüge des politischen Handels in unserer Gesellschaft? Das Wort „Moral“ lässt sich auch mit Sitten übersetzen, also das, in was wir als Handelnde in der Gesellschaft eingebettet sind.
Sie stellen im Buch selbst die Frage: Warum statt Politiker nicht lieber Manager an die Spitze eines Staates stellen?
Hirn: Jemand aus der „freien“ Wirtschaft, der den Staat führt wie ein Unternehmen, das Gewinn machen muss, wird anders regieren, anders entscheiden und andere Kriterien ansetzen als ein Politiker, der verschiedene Interessen im Auge behalten muss. Das ist ein großer Unterschied. Bei Entscheidungen zum Beispiel, die sozial Schwächere betreffen, kann es nicht um schwarze Zahlen gehen, sondern um soziale Gerechtigkeit. Der Beruf des Politikers ist weder auf den des Managers noch auf den des Experten reduzierbar.
Wie sieht es mit Ihren eigenen Ambitionen aus, in die Politik zu gehen?
Hirn: Das habe ich sozusagen schon hinter mir. Mit den Jahren verliert man schnell die rosaroten Vorstellungen. Was ich mir von den Erfahrungen als Bezirksrätin mitgenommen habe, ist, dass man damit auf jeden Fall etwas verändern kann und dass jeder Bürger diese Erfahrung einmal machen sollte, um zu sehen, warum manches in einer Demokratie so bedrückend langsam geht. Für meine berufliche Aufgabe ist allerdings ein gesunder Abstand nötig, um nicht den kritischen Blick zu verlieren.
Zur Person
Lisz Hirn (38) ist Polit-Philosophin und Autorin. Die gebürtige Grazerin ist Obfrau des Vereins für praxisnahe Philosophie und im Vorstand der Gesellschaft für angewandte Philosophie. Sie betreibt in Wien eine Philosophie-Praxis, arbeitet in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie als freiberufliche Künstlerin.