Die Kunst der Konzentration
Inhalt
- Kognitiver Trugschluss.
- Schlüssel zum Erfolg.
- Wissenschaftlich bestätigt.
- Volle Konzentration.
- Neuronales Super-Doping.
- Knappe Ressource.
- Deep-Work-Experte.
- Feste Regeln.
- Flow statt Frust.
- New Work.
Multitasking erweckt den Eindruck von Effizienz, doch unser Gehirn ist nicht dafür ausgelegt, mehrere komplexe Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten. Viele glauben, dass sie durch Multitasking mehr Aufgaben in weniger Zeit erledigen. In Wirklichkeit leidet jedoch die Qualität der Arbeit, weil unser Gehirn ständig zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herspringt. Das nennt man „Task Switching“ und es kostet uns mehr Zeit und Energie, als wir denken. In einer Ära der permanenten Erreichbarkeit und digitalen Informationsüberflutung scheint Multitasking die ultimative Lösung für Effizienz zu sein. Doch die Wissenschaft zeigt ein anderes Bild: Multitasking beeinträchtigt unsere kognitive Leistungsfähigkeit erheblich, während konzentriertes, tiefes Arbeiten – Deep Work – nachhaltige Erfolge ermöglicht. Aber warum ist das so, und welche Strategien sind hilfreich, um sich aus dieser Falle zu befreien?
Kognitiver Trugschluss.
Obwohl ziemlich alt, wird die Theorie der kognitiven Belastung von John Sweller von vielen als revolutionäres theoretisches Modell angesehen, da es der Idee „Je mehr wir auf einmal lernen, desto besser“ entgegensteht. Die Grundidee dieses Modells ist, dass unser Kurzzeitgedächtnis eine begrenzte Kapazität hat, die unsere Lernweise bedingt. Wenn wir uns neuem Wissen gegenübersehen, müssen wir es uns zuerst richtig aneignen und werden später in der Lage sein, alle Arten von erhöhten kognitiven Prozessen durchzuführen. Der Neuropsychologe John Sweller stellte in seiner „Cognitive Load Theory“ fest, dass unser Arbeitsgedächtnis nur eine begrenzte Menge an Informationen verarbeiten kann. Jedes Hin- und Herwechseln zwischen Aufgaben – auch bekannt als „Task Switching“ – führt zu mentalen Verlusten. Eine Studie der kalifornischen Stanford University unter Leitung von Clifford Nass zeigte, dass Multitasker schlechter darin sind, irrelevante Informationen zu filtern und langsamer zwischen Aufgaben wechseln als Menschen, die sich auf eine Sache konzentrieren. Obwohl die digitale Technologie die Produktivität in vieler Hinsicht gesteigert hat, scheint der moderne Arbeitsalltag darauf ausgelegt zu sein, die Konzentration so oft wie möglich zu stören. Die tägliche Flut (auch) interner E-Mails und Meetings stiehlt Mitarbeiter:innen die Zeit für ihre eigentlichen Arbeitsaufgaben. Und während alledem unterliegen so manche dem ständig verlockenden Ruf der sozialen Medien. Laut verschiedener Studien werden etwa Menschen, während sie Büroarbeit erledigen, alle drei Minuten unterbrochen oder sie unterbrechen sich selbst. Sind sie einmal abgelenkt, kann es bis zu 23 Minuten dauern, bis sie mental wieder bei ihrer ursprünglichen Aufgabe sind, sagt Gloria Mark, Professorin an der University of California in Irvine, die zu digitalen Ablenkungen forscht.

Schlüssel zum Erfolg.
Ständige Ablenkung ist heute das Hindernis Nummer eins für ein effizienteres Arbeiten. Sich ganz auf eine Sache konzentrieren zu können, wird damit zu einer raren, aber wertvollen und entscheidenden Fähigkeit im Arbeitsalltag. Cal Newport prägte hierfür den Begriff „Deep Work“, der einen Zustand völlig konzentrierter und fokussierter Arbeit beschreibt, und er begann die Regeln und Denkweisen zu erforschen, die solch fokussiertes Arbeiten fördern. Charakteristisch für Deep Work ist nicht nur die Konzentration, sondern auch die Effizienz. Wenn man sich konzentriert oder sich über einen Zeitraum hinweg auf eine Tätigkeit konzentrieren kann, schafft man mehr. Wir leisten also mehr, je mehr wir uns ablenkungsfrei konzentrieren können. Mit seiner Deep-Work-Methode verrät Newport, wie man sich systematisch darauf trainiert zu fokussieren und wie wir unser Arbeitsleben nach den Regeln der Deep-Work-Methode neu organisieren können. Wer in unserer schnelllebigen und sprunghaften Zeit nicht untergehen will, für den ist dieses Konzept unerlässlich.

Wissenschaftlich bestätigt.
Kurz gesagt ist die Entscheidung für Deep Work eine der besten, die man in einer Welt voller Ablenkungen treffen kann. Wissenschaftlich fundiert, basiert Deep Work auf den Prinzipien der Neuroplastizität: Durch tiefe Konzentration entstehen stärkere neuronale Verbindungen, was langfristig zu mehr Kreativität und besseren Problemlösungsfähigkeiten führt. Ein weiteres Beispiel liefert die Forschung zur „Deliberate Practice“ – „gezieltem Üben“ – über längere Zeiträume, das notwendig ist, um außergewöhnliche Fähigkeiten zu entwickeln. Wer sich regelmäßig in tiefer Arbeit übt, steigert seine Produktivität exponentiell. Auch für Unternehmen bringt Deep Work immense Vorteile.
Volle Konzentration.
Eine „Harvard Business Review“-Analyse zeigt, dass Unternehmen, die eine Kultur des fokussierten Arbeitens fördern, nicht nur innovativer sind, sondern auch eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit aufweisen. Ein Praxisbeispiel liefert Microsoft Japan, das die Arbeitszeit in einem Experiment auf eine Vier-Tage-Woche reduzierte und gleichzeitig Deep-Work-Methoden implementierte. Das Ergebnis: eine 40%ige Produktivitätssteigerung. Im Gegensatz dazu leiden Unternehmen mit einer Multitasking-Kultur oft unter ineffizienten Meetings, unproduktiven Arbeitsabläufen und hoher Fluktuation, da Mitarbeiter:innen unter Dauerstress und sinkender kognitiver Leistungsfähigkeit leiden.
Neuronales Super-Doping.
Doch was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir uns konzentrieren? Je konzentrierter wir uns einer geistigen Aufgabe widmen, desto stärker werden die dazugehörigen neuronalen Verbindungen isoliert – ein Prozess, der als „Myelinisierung“ bekannt ist. Vergleichbar mit einem Hochleistungskabel verbessert diese Isolierung die Effizienz der neuronalen Signalübertragung. Wer regelmäßig Deep Work praktiziert, trainiert sein Gehirn ähnlich wie Sportler:innen ihre Muskulatur – mit nachhaltigen Verbesserungen in der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit. Es drängt sich die Frage auf, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen sinnhafter und lohnender Arbeit und dem Gefühl „glücklich zu sein“. Der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi untersuchte gemeinsam mit Reed Larson den Zusammenhang zwischen Aktivität und Emotion bei seinen Proband:innen. Dazu forderte er sie auf, beim Piepsen eines Pagers ihre augenblickliche Tätigkeit und die damit verbundenen Emotionen zu beschreiben. Das Ganze ist als Experience Sampling Method (ESM) bekannt geworden. Das Ergebnis: Am glücklichsten waren die Leute, während sie sich einer herausfordernden und Sinn gebenden Tätigkeit widmeten. Nicht, wie man annehmen könnte, wenn sie Entspannung genossen.
Knappe Ressource.
Den Zustand, sich in etwas zu vertiefen und dabei Glück zu empfinden, nennt Mihály Csíkszentmihályi den Flow – also jenen Moment bzw. Zustand, in dem Menschen vollkommen in einer Tätigkeit aufgehen. Der Flow ist eng mit Deep Work verbunden, denn er ermöglicht es, unser volles kreatives und analytisches Potenzial zu nutzen. Das menschliche Gehirn kann nämlich pro Sekunde nur eine begrenzte Anzahl an Informationen verarbeiten. Wer in einer Umgebung arbeitet, die von ständigen Reizen überflutet wird, verbraucht wertvolle kognitive Ressourcen für die Selektion irrelevanter Informationen – ein Prozess, der Energie kostet und geistige Ermüdung beschleunigt. Der Flow macht uns glücklich und Deep Work steigert die Effizienz. Sowohl Deep Work als auch den Flow kann man nicht spontan und überall erreichen. Die Rahmenbedingungen müssen gegeben sein bzw. muss der Rahmen zur Verfügung gestellt werden. Vor allem muss es geübt werden und man muss in den Unternehmen geeignete Regularien finden, damit Mitarbeiter:innen Deep Work oder den Flow erreichen können. Charakteristisch für Deep Work ist nicht nur die Konzentration, sondern auch die Effizienz. Wenn man sich konzentriert oder sich über einen Zeitraum hinweg auf eine Tätigkeit konzentrieren kann, schafft man mehr. Wir leisten also mehr, je mehr wir uns ablenkungsfrei konzentrieren können.

Deep-Work-Experte.
Cal Newport, der den Begriff „Deep Work“ für konzentriertes Arbeiten geprägt hat, ist ein US-amerikanischer Informatik-Professor, Autor und Experte für Produktivität. Er lehrt an der Georgetown University in Washington und hat mehrere einflussreiche Bücher geschrieben, die sich mit den Themen Arbeit, Fokus und Erfolg auseinandersetzen. Seine Hauptthese lautet: In einer Welt voller Ablenkungen ist die Fähigkeit, sich auf anspruchsvolle Aufgaben zu konzentrieren, ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Newport argumentiert, dass Deep Work nicht nur zu besseren Ergebnissen führt, sondern auch persönliches Wachstum und berufliche Erfüllung fördert. Diejenigen, die diese Fähigkeit zum Kern ihrer Arbeit werden lassen, werden erfolgreich sein.
Feste Regeln.
m die benötigte Willenskraft für Deep Work zu minimieren und schnell in den Zustand der ununterbrochenen Konzentration zu kommen, benötigt es Routinen wie auch Rituale. Diese implementiert man in seine alltägliche Arbeit, da sie nur so gefestigt werden. Ruhige Momente außerhalb dieser konzentrierten Phasen helfen dabei, besser reinzukommen. Denn laut Newport gibt es pro Tag eine begrenzte Zeit, in der man Deep Work performen kann. Sein Vorschlag ist, Zeitpunkt und Ort für Deep Work selbst festzulegen. Unsere Gehirne sind zum großen Teil darauf programmiert, bei aufkommender Langeweile schnell das Smartphone zu checken oder sich digitale Unterhaltung zu suchen. Newport schlägt vor, diese Stimuli in Blöcken zu planen, in denen man sich dem digitalen Angebot voll hingeben kann.
Flow statt Frust.
Doch was brauchen wir tatsächlich, um wirklich tief und fokussiert in eine Aufgabe eintauchen zu können? Stille! Damit ist nicht nur die akustische Stille gemeint, sondern die echte mentale Ruhe. Also ungestört und ohne Ablenkungen in aller Ruhe nachzudenken. Raum und Zeit, um Ideen zu entwickeln und zu verfeinern. Aber genau dieser Luxus scheint in unserer hypervernetzten Arbeitswelt verloren gegangen zu sein. Die Folgen dieser ständigen Ablenkung sind fatal. Wir fragen uns abends erschöpft und oft auch unbefriedigt: „Was habe ich heute eigentlich alles geschafft?“ Aber Deep Work ist nicht nur ein Werkzeug für bessere Ergebnisse. Es ist auch eine Haltung und Einstellung, die uns hilft, in dieser immer volleren und informationsüberfluteten Welt irgendwie klarzukommen. Multitasking ist eine Illusion, die langfristig nicht nur unsere Produktivität, sondern auch unsere mentale Leistungsfähigkeit reduziert. Unsere Arbeitswelt muss sich wohl dahin gehend verändern, dass wir weg vom hektischen Multitasking hin zur bewussten Monofokussierung kommen.
New Work.
Statt permanentem Reagieren hin zum aktiven Selbstgestalten. Deep Work ist das neue New Work, weil es uns die Möglichkeit gibt, in einer überfüllten und lauten Welt leise exzellente Arbeiten zu kreieren – eine Rückbesinnung auf echte Werte. Unternehmen und Personen, die auf Deep Work setzen, haben nicht nur einen klaren Wettbewerbsvorteil, sondern steigern auch ihre eigene Zufriedenheit. Die Frage ist nicht, ob man sich der Konzentration widmet, sondern wie schnell man sich von der Zerstreuung verabschiedet. Die Zukunft gehört denen, die sich konzentrieren können. Deep Work ist nicht nur eine effektive Strategie für mehr Produktivität, sondern auch ein Schlüssel für langfristigen beruflichen Erfolg und mentale Gesundheit.