Grüne Aussichten
Im Jahr 2014 wurden sie fertiggestellt, seither gelten sie als grüne Vorzeigeprojekte im Wohnbau: die Zwillingstürme Bosco Verticale in Mailand, die vom italienischen Architekten Stefano Boeri in Zusammenarbeit mit den Architekten Gianandrea Barreca und Giovanni La Varra geplant und realisiert wurden. Ihr Konzept des vertikalen Waldes wächst und gedeiht seither – die rund 400 Terrassen der Wohntürme E (27 Etagen, 110 Meter) und D (19 Etagen, 80 Meter) wurden mit rund 800 Bäumen, 4.500 Sträuchern und über 15.000 Grünpflanzen bepflanzt. Über zwei Jahre wurde dieser ideale Baum- und Pflanzenmix in Kooperation mit Botanikern geplant.
Positive Wirkung.
Der Effekt des Bosco Vertikale ist überaus positiv: Die grüne Fassade bindet jährlich rund 30.000 Kilogramm CO2 und Vögel, Bienen und Insekten haben einen natürlichen Lebensraum mitten in der Großstadt gefunden. Zudem wirken die Pflanzen lärmmindernd und isolierend: im Sommer halten sie die Hitze zurück, es muss weniger gekühlt werden, im Winter erzielen sie den umgekehrten Effekt. Nicht zuletzt speichert der vertikale Wald auch Regenwasser, je nach Standort sogar 50 bis 80 Prozent des Niederschlags. Dieses Wasser wird dann schrittweise wieder abgegeben und kühlt so die Umgebung.
Kritische Stimmen.
Natürlich gibt es auch Kritik: So sei der Bau mit 55 Millionen Euro außergewöhnlich teuer gewesen – für Eigentumswohnungen wurden 6.000 bis 7.000 Euro pro Quadratmeter gerechnet. Auch musste sehr viel Beton für die Pflanzenwannen verwendet werden und die Instandhaltung sei aufwändig: die Bäume müssen zweimal im Jahr zurückgeschnitten werden und das automatische Bewässerungssystem mit Sensoren und Schläuchen benötigt jährlich im Schnitt 3.500 Kubikmeter Wasser – das wiederum sei energieintensiv.
Nachahmeffekt.
Trotz dieser Kritikpunkte (die größtenteils in künftigen Projekten nach und nach verbessert wurden und werden) machte das Konzept der begrünten Fassade Furore – so wurde der Bosco Verticale mit vielen Preisen ausgezeichnet und fand weltweit Nachahmer. Etwa in Paris, wo 2016 der Tour de la Biodiversité fertiggestellt wurde. Dieser, von Architekt Édouard Francois entworfene Wohnturm, war nämlich von Anfang an nicht fürs Luxussegment gedacht, sondern bietet gemeinsam mit seinen Nebengebäuden 140 Sozialwohnungen, einem Wohnheim für junge Arbeiter und einer Kinderkrippe Platz. 2015 wurde in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá das grüne Wohnhaus Santalaia eröffnet, dessen Fassade von rund 115.000 Pflanzen bedeckt ist. Der Clou: Zur Bewässerung wird unter anderem gefiltertes Duschwasser der eigenen Wohnungen verwendet.
Reflektierend.
Nahezu zeitgleich mit dem Bosco Verticale wurde auch in Sydney ein grüner Doppel-Hochhauskomplex eröffnet: der One Central Park, geplant vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel. Auf je 34 Etagen wurden insgesamt 623 Wohnungen geschaffen, mehr als 35.000 Pflanzen begrünen die Fassade. Um auch die Pflanzen an den schattigen Seiten mit Sonnenlicht zu versorgen, wurde ein gigantischer Reflektor, der sogenannte Heliostat, angebracht. Dieser leuchtet übrigens auch in der Nacht, dann aber bunt, als LED-Kunstwerk. Und auch Düsseldorf verfügt seit 2021 über ein grünes Architekturhighlight: Der Kö-Bogen II, eine vom Architekturbüro Ingenhoven geplante Markthalle mit 24.000 Quadratmetern Laden- und ca. 6.000 Quadratmetern Bürofläche, wurde mit über 35.000 Hainbuchenhecken bepflanzt. Mit rund acht Kilometern Laufmeter besitzt der Kö-Bogen II somit Europas größte Grünfassade.
Grüne Städte.
Langfristiges Ziel vieler innovativer Köpfe soll es freilich sein, ganze Städte mit grünen Fassaden und maximalem Grünraum zu verkleiden. Bosco Verticale-Architekt Stefano Boeri hat z.B. das chinesische Projekt Forest City entworfen: Auf einer Fläche von ca. 175 Hektar sollen nahe der Millionenstadt Liuzhou mehrere mit grünen Fassaden bewachsene Hochhäuser entstehen, die bis zu 30.000 Menschen Platz bieten. Im Kleinen aber realisieren immer mehr Großstädte „grüne Inseln“: Die niederländische Stadt Utrecht hat in den letzten Jahren über 300 ihrer Bushaltestellen mit üppig wuchernden Gründächern versehen. In der Schweizer Stadt Basel muss seit 2002 jedes neue und sanierte Gebäude mit Flachdach laut Baugesetz ein Gründach haben. Und Hamburg möchte mit einer ebensolchen Gründach-Strategie die Stadt als Hochwasserschutzmaßnahme in eine Art Schwamm verwandeln: Somit würden begrünte Dächer bei Starkregen viel Wasser aufnehmen, sodass nicht gleichzeitig das gesamte Regenwasser in die Kanalisation eindringt und diese überflutet.
Leben im Windrad.
Kreative Ingenieure und Architekturbüros denken aber nicht nur über möglichst grüne Häuser und Städte nach, sondern spielen auch nachhaltige Energiekonzepte und -projekte durch. So entstand im Rahmen einer Kooperation verschiedener Technologieunternehmen das Konzept des „Dutch Windwheel“, das in Rotterdam realisiert werden soll. Im Zentrum des einem Windrades nachempfundenen Gebäudes steht die Windkraftanlage nach dem sogenannten Ewicon-Prinzip – kurz erklärt: durch die Öffnung in der Mitte weht Wind und generiert mithilfe des innovativen Systems und ganz ohne sich drehende Rotoren Energie. Im Gebäude finden Wohnungen, Restaurants und ein Hotel Platz. Die Kombination aus Windkraft, Solar-Energie (die Fassade wird mit hocheffizienten Photovoltaik-Paneelen verkleidet) und einer Biogasanlage (die hauseigenen Biomüll verwertet) macht das „Dutch Windwheel“ energieautark. Mit Gewächshäusern vergleichbar, sorgen hinter der Fassade parkähnliche Flächen mit zahlreichen Pflanzen und Wasserlandschaften für verschiedenen Klimazonen – ideal für Freizeit und Entspannung der Bewohner
Autarker Campus.
Das niederländische Architekturbüro MVRDV ist bekannt für seine futuristischen und energieautarken Projekte. Ihr Entwurf für den international ausgeschriebenen Innovation Park Artificial Intelligence (Ipai) in Heilbronn in Deutschland, dem größten Ökosystem für Künstliche Intelligenz in Europa, hat im Frühjahr 2023 den Zuschlag bekommen. Auf einem kreisförmigen 23 Hektar großen Areal mit 400 Metern Durchmesser werden ein Unternehmenscampus, Labore, ein Innovations- und Kommunikationszentrum sowie Wohnungen und Freizeiteinrichtungen errichtet. Ein 1,2 Kilometer langer Rundweg führt um das Areal, dient als Sprintstrecke und bildet eine Verbindung zur Umgebung. In einem Teil des Areals werden Wälder, Obstwiesen und Weiden wachsen, die zum Teil als Testfelder für biologische KI-Technologien genutzt werden, zugleich aber auch einen positiven Einfluss auf den CO2-Fußabdruck haben. Bioklimatische Fassaden, Windturbinen und Sonnenkollektoren erzeugen Energie, Heiz- und Kühlbedarf wird durch Geothermie gedeckt. Die Bauarbeiten sollen 2024 beginnen.