Blumen sagen mehr als 1.000 Worte: So geschwätzig sind Pflanzen
"Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume", schrieb Günter Eich in seinem Gedicht "Ende eines Sommers". Wie recht er doch hat. Doch Bäume, Sträucher und Blumen können noch viel mehr, als uns Menschen in einsamen Stunden Trost und Ruhe zu spenden. Denn auch wenn Pflanzen über keine Sprache im herkömmlichen Sinn verfügen, sind sie hochgesprächig und kommunizieren untereinander. Wie sie das machen? Sie benutzen chemische und elektrische Signale!
Geschwätzige Pflanzen
Ein Baum erscheint uns Menschen majestätisch, beständig, beschützend – in die Klatsch und Tratsch-Ecke hätten wir ihn eher nicht abgestellt. Und ganz so gesprächig sind die Pflanzen dann auch wieder nicht, doch verfügen auch Bäume und Blumen über Mittel und Wege, mit ihre Artgenossen zu kommunizieren und vor nahenden Gefahren zu warnen. In Afrika beispielsweise sondern Akazienbäume, die von Giraffen beknabbert werden, das Gas Ethylen ab, um ihre Nachbarn in bis zu 100 Meter Entfernung zu warnen. Die Bäume erhöhen daraufhin den Gerbstoffanteil in den Blättern, mit dem Resultat, dass sie für die Giraffen ungenießbar und bitter schmecken. Dieser ausgeklügelte Notfallplan nimmt rund eine Stunde in Anspruch, dann erst vergeht den Giraffen der Appetit.
With a little help from my friends
Auch Mais weiß sich zu verteidigen: Wird das Feld von Raupen heimgesucht, sendet der Mais einen olfaktorischen Hilferuf aus und schon eilen die Schlupfwespen zu Hilfe, deren Larven von den Raupen gar nicht genug bekommen können. Eine Win-win-Situation für beide Seiten also. Um ja die richtigen Verbündeten herbeizurufen, differenzieren die Pflanzen sehr genau, wer genau ihnen da jetzt ganz an ihr frisches Blattgrün will und senden je nach Angreifer unterschiedliche Duftstoffe aus. Doch auch in dieses ausgeklügelte Warnsystem hat der Mensch durch Züchtungen negativ eingegriffen, die meisten modernen hochgezüchteten Pflanzen haben diese rettende Eigenschaft verloren und müssen leider als stumm und taub bezeichnet werden.
Mit allen Sinnen
Pflanzen verfügen nicht über ein Nervensystem im herkömmlichen Sinne, sind aber dennoch in der Lage Sinnesreize elektrisch zu verarbeiten. Allerdings geschieht dies bei Basilikum, Lauch und Co. deutlich langsamer als bei uns Menschen. Die Pflanzen erreichen eine Geschwindigkeit von einem Zentimeter die Sekunde, beim Mensch werden elektrische Signale 10.000-Mal schneller übertragen. Doch mangelnde Geschwindigkeit gleichen Pflanzen mit erhöhter Sensibilität aus und nehmen ihre Umwelt sehr genau war: Ständig prüfen sie die Temperatur, die Lichtverhältnisse, die Feuchtigkeit, Duftstoffe und und und. Manche Arten sind sogar so empfindlich, dass sie Fremdkörper von gerade einmal einem millionstel Gramm spüren – mit diesem Wissen wird man seine Pflanzen beim nächsten Mal wohl behutsamer abstauben …
Füßeln erwünscht
Unter dem Tisch den Freund mal schnell verliebt mit dem Fuß streicheln? Können Bäume schon längst! Denn benachbarte Bäume können sich unterirdisch durch ihre Wurzeln zusammenschließen und sich in Notzeiten gegenseitig helfen. Ist einer der beiden beispielsweise krank, versorgt ihn der andere aufopfernd mit Nährstoffen. Manchmal ist die Verbindung zwischen den Bäumen sogar so stark, dass sie gemeinsam den Tod finden. Und auch um den Nachwuchs kümmern sich die Bäume: Buchenjungspunde im Alter von 80 Jahren (80 ist das neue 18, bei einer Lebenserwartung von 400 Jahren jedenfalls) werden von ihrer Mutter über die Wurzeln mit wichtigen Nährstoffen versorgt.
Wood Wide Web
Auch die unterirdisch weit verzweigten Pilze spielen eine wichtige Funktion bei der Kommunikation, Forscher sprechen sogar vom Wood Wide Web. Durch mikroskopisch feine Pilzfäden, dem Myzel, das unterirdisch das gesamte Erdreich durchzieht, stehen die Bäume in stetigem Kontakt zueinander. Die Pilzfäden verschmelzen mit den Baumwurzeln und verbinden sie so untereinander. Über im Wasser lösliche Botenstoffe erfahren die Bäume nun, was bei den lieben Nachbarn so abgeht, ob sie Hilfe benötigen oder ob sie Schädlinge ausgemacht haben, vor denen man sich besser in Acht nehmen sollte.
Vivaldi und der Wein
Nicht selten verhilft uns Menschen schöne Musik und ein gutes Glas Wein zu romantischen Stunden, doch auch die Weinreben selbst stehen auf klassische Klänge und Streicheleinheiten. In der Toskana wurde ein Feld zehn Jahre lang rund um die Uhr mit Vivaldi, Mozart und Haydn beschallt, mit dem Ergebnis, dass die dort angebauten Reben größer und die Trauben aromatischer waren. Verfügen Pflanzen etwa über ein Gehör? Nicht ganz, aber jede Zelle besitzt eine empfindliche Membran, die Schall wahrnehmen kann und ganz offensichtlich scheinen die Pflanzen Gefallen an der Musik zu finden. Übrigens, nicht nur Pflanzen scheinen sich mittels Musik beeinflussen zu lassen, eine aktuelle Studie untersucht gerade die Auswirkungen von Schall auf die Reifung von Käse, die Forscher interessieren sich, ob auch die daran beteiligten Bakterien auf Schall reagieren. Ob man die Ergebnisse der Untersuchung dann mit besonders aromatischen Käsewürfeln und einem exquisiten Wein feiern kann, bleibt abzuwarten.
Was man aber jetzt schon weiß ist, dass sich Streicheleinheiten positiv auf junge Pflänzchen auswirken: Forscher verglichen dazu zwei Bohnenkeimlinge: Beide erhielten ausreichend Wasser, eine Pflanze wurde aber zusätzlich viermal täglich mit liebevollen Streicheleinheiten versorgt. Und siehe da, das liebkoste Pflänzchen wuchs kräftiger und mehr in die Breite, das so bitter verschmähte hingegen schoss beleidigt und dünn in die Höhe.
Auf ein Wort
Immerhin jede vierte Frau redet regelmäßig mit ihren Zimmerpflanzen, die Männer sind da meist weniger kommunikativ. Dabei hätten sie ein prominentes Vorbild, denn sogar Prinz Charles ist bekennender Pflanzenflüsterer. Und die Wissenschaft gibt den "Ratschkattln" recht: Tomatenpflanzen, mit denen gesprochen wurde, erreichten einen um 500 Gramm höheren Ertrag.
Auch wenn Pflanzen nun nicht über ein Nervensystem im klassischen Sinne verfügen, zeigen diese Forschungsergebnisse, dass Bäume, Tulpen und auch der kleine Beilagensalat von heut Mittag komplexere und weitaus sensiblere Lebewesen sind (beim Salat ist wohl eher die Vergangenheitsform angebracht), als wir Menschen auf den ersten Blick vermuten würden.