Fall Teichtmeister: „Wir müssen uns gut überlegen, was wir konsumieren“
weekend.at: Frau Rendl, warum sind gerade in der Filmbranche Machtmissbrauch, Belästigung und sexueller Missbrauch so ein starkes Thema?
Sophie Rendl: Das sind keine Phänomene, die nur die Filmbranche betreffen. In Kunst und Kultur gibt es aber begünstigende Faktoren. Zum Beispiel die steilen Hierarchien innerhalb von Filmproduktionen, die isolierten Probe- und Produktionszeiten und tradierte Verhaltensweisen. Auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse und mangelnde soziale Absicherung spielen eine Rolle. Ökonomische Abhängigkeit führt dazu, sich vielleicht nicht gegen Unrecht auszusprechen.
weekend.at: Was ist die größte Angst der Betroffenen? Warum scheuen nach wie vor viele den Schritt in die Öffentlichkeit?
Sophie Rendl: Eine Öffentlichmachung kann für Betroffene weitreichende negative Konsequenzen haben. Vom Jobverlust über Drohungen, Angriffe und öffentliche Diffamierungen bis hin zu Rufschädigungs- oder Verleumdungsklagen. Stigmatisierung von betroffenen Personen ist ein großes Problem im Rahmen der gesamten #metoo-Bewegung. Mangelnde Solidarität ist leider keine Seltenheit.
Stigmatisierung von betroffenen Personen ist ein großes Problem.
weekend.at: Wie viele Opfer melden sich pro Monat bei der „vera* Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport“?
Sophie Rendl: Pro Woche kommen etwa zwei bis drei neue Fälle hinzu. Übergriffe werden generell unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet.
weekend.at: Wo fängt sexuelle Belästigung an?
Sophie Rendl: Übergriffe können visuell, verbal oder körperlich sein. Dazu gehören beispielsweise auch beharrliches Anstarren, anzügliche Witze und das Versprechen beruflicher Vorteile bei sexuellem Entgegenkommen. Oder im Gegenzug das Androhen von beruflichen Nachteilen bei Verweigerung.
Übergriffe können visuell, verbal oder körperlich sein.
weekend.at: Wie sieht eine Hilfestellung von Ihnen konkret aus?
Sophie Rendl: vera* unterstützt Betroffene und zeigt ihnen Handlungsmöglichkeiten auf. Unsere Mitarbeiter*innen hören zu, helfen mit der Einordnung des Falles und setzen dann gemeinsam mit den betroffenen Personen weitere Schritte. Wir arbeiten auch sehr eng mit anderen Gewaltschutzeinrichtungen zusammen und weisen gegebenenfalls unter Begleitung weiter. Alles wird stets nur im Einvernehmen mit den Betroffenen entschieden– das ist das oberste Prinzip
weekend.at: Wie soll man mit Werken wie „Corsage“ umgehen, wenn bei Urheber oder einem Darsteller der Verdacht des sexuellen Missbrauchs besteht? Sollte man das Werk nicht mehr zeigen oder müssen Werk und Künstler getrennt voneinander betrachtet werden?
Sophie Rendl: Grundsätzlich müssen wir uns als Gesellschaft und als Publikum gut überlegen, was wir konsumieren und dadurch legitimieren. Genau dasselbe gilt auch für diejenigen, die das Werk produzieren. Der Fall rund um den Film Corsage ist nicht das beste Beispiel, da der Dreh ja vor Bekanntwerden der Vorwürfe abgeschlossen wurde. Gleichzeitig wurde der Schauspieler nach Bekanntwerden in anderen Engagements weiter in Produktionen eingesetzt und gefördert. Hier geht es nicht um eine Vorverurteilung, denn es gilt natürlich die Unschuldsvermutung – es geht um eine Schutzpflicht. Die Trennung von Künstler*innen und Werk ist von einem moralischen Standpunkt her oft nicht möglich und auch in diesem Fall – so auch die weitreichende Meinung – nicht zielführend.
Was der Fall Corsage auch deutlich zeigt, ist der Schaden, den eine Person für ein ganzes Team und ein künstlerisches Werk anrichten kann.