Google: „Haben Paralleluniversum entdeckt”
Google lässt aktuell mit einer überaus kühnen Behauptung aufhorchen: Der neue Quantenchip Willow könnte Aufgaben lösen, indem er auf Paralleluniversen zugreift. Anlass für die aufsehenerregende These ist eine Berechnung, die der Chip in unter fünf Minuten abgeschlossen hat. Für einen herkömmlichen Supercomputer hätte sie laut Google 10 Septillionen Jahre gedauert – eine Zahl, die bekannte Zeitrahmen in der Physik und sogar das Alter des Universums (knapp 14 Milliarden Jahre) überschreiten. Hartmut Neven, Gründer von Google Quantum AI, nennt die Leistung des Chips schlicht „atemberaubend“.
Wie funktioniert ein Quantencomputer?
Quantenmechanik
Zwei Phänomene der Quantenmechanik erlauben es Quantencomputern, etliche Berechnungen gleichzeitig durchzuführen und so Probleme zu lösen, für die herkömmliche Computer eine unvorstellbar lange Zeit bräuchten.
Superposition
Während klassische Computer mit Bits arbeiten, die den Zustand 0 oder 1 annehmen, nutzen Quantencomputer sogenannte Qubits. Ein Qubit kann nicht nur 0 oder 1 sein, sondern auch beide Zustände gleichzeitig einnehmen. Diese Eigenschaft nennt sich Superposition.
Quantenverschränkung
Zusätzlich gibt es die Quantenverschränkung: Zwei Qubits können „verknüpft“ sein, sodass der Zustand des einen automatisch den Zustand des anderen beeinflusst – selbst über große Entfernungen hinweg und ohne jeglichen Kontakt. Albert Einstein hat diesen Zustand – vor seinem wissenschaftlichen Nachweis – halb spöttisch, halb verächtlich als "spukhafte Fernwirkung" bezeichnet.
Warum sind Quantencomputer so schnell?
Genau diese beiden Phänomen macht sie auch so unfassbar schnell. Während ein klassischer Computer jede Möglichkeit eines Problems nacheinander ausprobiert, kann ein Quantencomputer dank Superposition mehrere Möglichkeiten gleichzeitig untersuchen.
Derzeit können Quantencomputer nur sehr spezifische Probleme lösen, die meist keinen direkten Nutzen für den Alltag haben. Dennoch sieht Google in der Weiterentwicklung ein riesiges Potenzial.
Googles These vom Paralleluniversum
So weit, so kompliziert. Warum glaubt Google aber jetzt auf einmal, dass Quantencomputer mit Paralleluniversen interagieren?
Die Idee basiert auf der Multiversum-Theorie, die 1996 von David Deutsch in "Stoff der Realität" aufgestellt wurde. Laut Deutsch könnten die Zustände, die ein Quantencomputer gleichzeitig durchrechnet, in unterschiedlichen Universen existieren.
Google hat diese These jetzt dankbar aufgegriffen. AIQuantum-Chef Neven argumentiert in seinem aktuellen Google Blog, dass die enorme Geschwindigkeit von Willow nur damit erklärt werden kann, dass diese Berechnungen in mehreren Realitäten stattfinden. PR-technisch klingt das jedenfalls nochmal aufsehenerregender als "unvorstellbar schnell".
Kritik an Googles Behauptungen
Physiker wie Sabine Hossenfelder bleiben nicht nur deswegen skeptisch. Sie zeigen sich insbesondere hinsichtlich der Anwendungsfelder von Chips wie Willow kritisch. Für den Test wurde die Berechnung einer „zufälligen Verteilung“ gewählt; eine Aufgabe, die herkömmliche Computer besonders fordert. „Das Ergebnis hat keinen Einfluss auf den Alltag und wird nur als Benchmark genutzt“, bemängelt die Physikerin. Für praktische Anwendungen braucht es deutlich leistungsfähigere Quantencomputer. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 1 Million Qubits nötig sind, um wirkliche Durchbrüche zu erzielen. Googles Willow liegt mit 100 Qubits weit darunter.
I see a lot of confusion about Google's Monday press release about quantum supremacy, so let me try to clarify a few things.
They say they did a computation on a ca 100 qubit chip much faster than a conventional (super)computer could do. The particular calculation in question is…— Sabine Hossenfelder (@skdh) December 10, 2024
Dazu kommt: Bereits 2019 hat Google eine ähnliche Behauptung aufgestellt. Damals hieß es, man habe „Quantenüberlegenheit“ erreicht. Quantenüberlegenheit (im Englischen: quantum supremacy) bezeichnet den Punkt, an dem ein Quantencomputer eine bestimmte Aufgabe schneller lösen kann als jeder herkömmliche klassische Computer.
IT-Magnat IBM widersprach bereits damals und bewies, dass die gleiche Aufgabe mit einem herkömmlichen Computer in ähnlicher Zeit zu lösen ist. „Behauptungen von der Quantenüberlegenheit könnten bald entkräftet werden, wenn andere Forscher eine klassische Lösung finden“, hält Hossenfelder via X fest.
Die Zukunft der Quantencomputer
Google ist dennoch sicher, mit Willow den technologischen Durchbruch geschafft zu haben. In einem viel beachteten Beitrag in der Fachzeitschrift Nature legt Entwickler Neven dar, wie die Fehleranfälligkeit auf ein neues Level reduziert werden konnte.
Anwendung in der Praxis
„Es ist der überzeugendste Prototyp für ein skalierbares logisches Qubit, das je gebaut wurde“, erklärt er. "Willow bringt uns dem Ziel näher, praktische, kommerziell relevante Algorithmen auszuführen, die auf konventionellen Computern nicht repliziert werden können." Künftig soll die Zahl der Qubits weiter erhöht und so der nützliche Einsatz in der Praxis ermöglicht werden. Quantencomputer könnten in Zukunft die KI-Entwicklung revolutionieren, indem sie Aufgaben lösen, die klassische Computer nicht bewältigen können. Besonders in Bereichen wie Kryptografie, Materialwissenschaft und Medikamentenentwicklung verspricht die Technik bahnbrechende Durchbrüche.
Forschung und Entwicklung
In der Materialwissenschaft könnten Quantencomputer Simulationen durchführen, die aktuelle Computer mit ihrer aktuellen Rechenleistung nicht stemmen können. Dazu gehören z. B. die Berechnung der Eigenschaften neuer Materialien oder die Entwicklung von supraleitenden Stoffen. Möglich wäre, mit neuen Entdeckungen die Effizienz von Batterien, Solarpanels oder sogar Quantensystemen drastisch zu verbessern.
Materialwissenschaft
Vor allem die Pharmaindustrie erhofft sich durch ein Mehr an Rechenleistung revolutionäre Durchbrüche. Quantencomputer können Moleküle und ihre Interaktionen präzise modellieren und damit die zielgerichtete Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen.
Pharmaindustrie
Anstatt Millionen von Molekülen in zeit- und kostenintensiven Laborexperimenten zu testen, würden Quantencomputer potenzielle Wirkstoffe innerhalb von wenigen Stunden identifizieren. Forschungskosten würden drastisch gekürzt, die Zeit zur Marktreife lebensrettender – und potenziell individuell maßgeschneiderter – Medikamente erheblich verkürzt werden.
Nachhaltigkeit und Klimawandel
Über diese Bereiche hinaus gibt es auch Potenziale in der Optimierung komplexer Prozesse, etwa in der Logistik, im Finanzwesen oder bei der Entwicklung neuer Technologien wie Fusionsenergie. Mit ihrer Fähigkeit, große Datenmengen zu analysieren und Muster zu erkennen, könnten Quantencomputer auch bei der Bekämpfung des Klimawandels oder der Entwicklung nachhaltiger Energielösungen entscheidend sein.
Börsenkurs steigt
An der Börse wird die Meldung jedenfalls mit Jubel begrüßt: Der Google-Kurs ist kurz nach Verkündung um satte fünf Punkte gestiegen.