Warum Österreicher Aktien benötigen
Österreicher halten traditionell einen geringen Anteil an Wertpapieren. Warum ist die Liebe zur Börse bei uns so schwach ausgeprägt?
Das ist eine Kulturfrage. Der typische Österreicher verbindet Aktien überwiegend mit Spekulation und selten mit einer langfristigen Anlagestrategie. Das war auch der Fehler bei der Einführung so mancher „Volksaktie“, bei der falsche Erwartungen geweckt wurden und viele das schnelle Geld erwartet haben.
Ist es nicht auch eine Frage fehlender finanzieller Bildung?
Es geht aber nicht nur um Finanzbildung, sondern auch um allgemeine Wirtschaftsbildung. Es muss bereits früh in der Schule damit begonnen werden. Schauen Sie, ich bin eine typische AHS-Maturantin. Das Einzige, was ich damals in der Schule über Wirtschaft gelernt habe, war im Fach Geografie und Wirtschaftskunde. Da ging es etwa darum, ob einzelne Länder mehr auf Ackerbau oder Rohstoffgewinnung setzen. Wie sollen Menschen auf dieser Grundlage mündig einschätzen können, wie sich verschiedene Anlageformen auswirken? Wir Banken sehen es als unsere Aufgabe an, aufklärend zu wirken und die Menschen zu informieren. Letztlich muss es jedoch für jeden Einzelnen interessant werden, auch die Wirtschaftsteile einer Tageszeitung zu lesen.
Deutsche Zeitungen schreiben regelmäßig, wie ETFs, also börsengehandelte Indexfonds, bei Privaten als Anlageform boomen. Wo bleibt Österreich in dieser Beziehung?
Die Möglichkeit, ETFs zu erwerben, besteht auch im österreichischen Finanzsektor, nur müssen sie in Anspruch genommen werden. In unserem Haus haben wir im Juni einen indexorientierten Aktienfonds aufgelegt und folgen damit dem Trend der einfachen und kosteneffizienten Veranlagung, der vor allem bei jungen Menschen beliebt ist. Letztlich geht es um das Thema Vorsorgestrategie, das mir ein großes Anliegen ist. Rund 50 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen in Österreich arbeiten Teilzeit. Diese Frauen laufen Gefahr, in einen Versorgungsengpass zu geraten.
Wie könnte so eine Vorsorgestrategie in der Praxis aussehen?
Wer 100 Euro monatlich über einen Zeitraum von 30 Jahren einzahlt, kann bei einer Verzinsung mit einem Aktienfonds-Sparplan am Ende über einen Betrag von 100.000 Euro verfügen. Mit einem entsprechenden Ansparkonzept lassen sich viele der Schwankungen an der Börse ausgleichen. Wichtig ist nur, sich das strategisch zu überlegen und früh genug damit anzufangen. Genau dafür sind Banken da. Das ist unsere Aufgabe, und das sage ich auch immer unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Ihr seid auch mit dafür verantwortlich, dass die Frauen später einmal nicht unterversorgt sind, wenn sie 60 Jahre alt sind.
Das Thema Pensionsvorsorge und Börse löst in Österreich aktuell wieder heftige politische Debatten aus. Wie kann der Fokus auf den Kapitalmarkt gesteigert werden?
Die größten Anleger in den USA sind Pensionsfonds. Dort sind viele Menschen investiert, für die Aktien einen ganz anderen Stellenwert im täglichen Leben haben. Man sieht dies auch zum Beispiel bei der Mitarbeiterbeteiligung der voestalpine. Plötzlich werfen Mitarbeiter regelmäßig einen Blick auf die Kursentwicklung. Für ein breites, langfristiges und nachhaltiges Umdenken müssten jedoch auch politische Reformen getroffen werden. Hierzulande werden Dividenden mit 27,5 Prozent und Sparbuchzinsen mit 25 Prozent besteuert – und da fragen sich manche ernsthaft, warum der Kapitalmarkt nicht attraktiv ist. Will man Menschen nicht fördern, damit sie langfristige Investoren werden und am Wirtschaftsleben aktiv teilnehmen? Damit sind wir wieder beim Kulturthema. Dass der Kapitalmarkt in Österreich wenig ausgeprägt ist, zeigt sich auch am bescheidenen Interesse der Unternehmen, an der Börse aktiv zu werden. Das geht Hand in Hand.