Zeit für den Reset
Inhalt
- Nicht in Panik geraten!
- Entspannung durch Sport
- Auf dem Weg ins Burn-out
- Im Eisbad die Resilienz stärken
- Initialzündung im Luxus-Ressort
- Ein Werkzeugkoffer für Manager
- Die Toolbox der Stoiker
- Die Informationsflut meistern
„In der Ruhe liegt die Kraft“
Oder wie man in Großbritannien seit 1939 mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zu sagen pflegt: „Keep calm and carry on.“ Dieser britische „Stiff upper lip“-Stoizismus ist nach fünf Jahren der Krise, der dystopischen Schwarzmalerei, der Hysterie und Dauerempörung wieder gefragt. Manager geben Zehntausende Euro aus, um in Longevity- und Diätkliniken den Kopf wieder freizubekommen, suchen die Einsamkeit in Klöstern oder den Tiroler Bergen, versuchen, dem Alltagsstress mit Yoga und fernöstlichen Praktiken zu entfliehen. „Langeweiler“ wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen (81) oder ÖVP-Bundeskanzler Christian Stocker (65), dem der Soziologe Manfred Prisching (74) ein „Charisma der Nüchternheit“ attestiert, sind plötzlich Stars, weil sie Ruhe ausstrahlen, ohne sich zu inszenieren. Ihr Auftreten erinnert an Vertreter der alten stoischen Philosophie, an Senecas Lehre der Gelassenheit zur Lebensbewältigung in einer unruhigen Welt. Auch Verzicht scheint wieder gefragt zu sein nach den Exzessen des Narzissmus und der Oberflächlichkeit, befeuert durch soziale Medien. Die Runde macht auch der Begriff „Digital Detox“ – Letzteres eine Abkürzung von Detoxifikation, was so viel wie Entgiften bedeutet. Das Smartphone wird freiwillig ausgeschaltet oder gesetzlich aus den Schulen verbannt, um die Ablenkung zu reduzieren und die Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen. Selbst Verzicht scheint plötzlich wieder modern. In Zeiten der Dauer-
krisen, wo Donald Trump (78) die gesamte Welt mit Zöllen belegt, den Handel schädigt und die Börsen weltweit zum Absturz bringt, sind Führungskräfte gefordert wie selten zuvor. Wie behalten sie einen kühlen Kopf in schwierigen Situationen?

Nicht in Panik geraten!
Einen, den diese Frage schon fast sein ganzes Berufsleben beschäftigt, ist Herwig Haunschmid (61). „Im Geschäftsleben geht es darum, nicht in hektische Situationen zu geraten. Gelegenheiten dafür gibt es leider genug“, sagt der ehemalige Manager und heutige Unternehmensberater. Als der Katsdorfer 1985 beim Stahlanlagenbauer VAI (heute Primetals Technologies) seine Karriere startete, lernte er, Dutzende Projekte parallel zu managen. „Mit einfachen Techniken wie Aufgabenmanagement habe ich das damals recht schnell in den Griff bekommen. Diese Methoden wende ich auch heute noch an. So entgleitet mir nichts mehr, ich halte alles schriftlich fest und freue mich, wenn ich etwas abhaken kann. Auf diese Weise muss ich nachts auch nicht mehr prüfen, ob ich etwas übersehen habe. Es sind einfache, aber effektive Vorgehensweisen“, erklärt Haunschmid. Ob jemand rasch in Panik gerät oder nicht, sei auch Veranlagung. Er selbst sieht sich als Analytiker und Techniker. Wenn er im Job unverhofft in eine unangenehme Situation gerät, versucht er, entspannt an die Sache heranzugehen. Verschiedenen Szenarien werden erstellt, Prioritäten gesetzt und die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Im Job zählt die fundierte Technik, auf die er sich verlassen kann, im Sport baut er auf seine Fähigkeiten als Bogenschütze.

Entspannung durch Sport
Haunschmid betreibt Segeln und Bogenschießen auf einem wettbewerbsorientierten Niveau. Im Bogenschießen hat er zwei Weltmeisterschaften und mehrere Europameisterschaften gewonnen. Diese Mischung aus Konzentration und Entspannung ist für ihn der optimale Ausgleich. „Wenn ich nach der Arbeit von der Voest nach Hause in Richtung Luftenberg gefahren bin, war ich nach einer Viertelstunde Fahrtzeit am Bogenschießplatz, um zu trainieren. Eine Viertelstunde Training im Bogenschießen hatte für mich die Wirkung von zwei Stunden Schlaf.“ In der Phase, als Haunschmid an internationalen Wettbewerben teilgenommen hat, arbeitete er intensiv mit vier Mental-Coaches zusammen. Dabei hat er verschiedene Techniken kennengelernt und angewandt, die ihm nicht nur im Sport, sondern auch im Berufsleben geholfen haben. Zum Beispiel die indirekte Steuerung der Herzratenvariabilität (HRV) durch Atemtechnik. „Mit etwas Übung kann man dann beobachten, wie die Herzrate genau im Takt der Atmung schwankt. Diese Methode kann in Sportarten wie dem Bogenschießen eingesetzt werden, um den Schussablauf optimal mit der Herzratenvariabilität anzugleichen“, sagt Haunschmid. Eine hohe HRV bedeutet, dass das Herz in der Lage ist, sich schnell an wechselnde Anforderungen anzupassen. Eine niedrige HRV lässt auf einen hohen Stresslevel schließen. Moderne Smartwatches schlagen dann Alarm.

Auf dem Weg ins Burn-out
„Stress ist ein Syndrom unspezifischer Veränderungen, mit denen sich ein biologisches System an Veränderungen der Umwelt anpasst.“ Das ist die etwas abstrakte Definition des österreichisch-kanadischen Mediziners, Biologen und Hormonforschers Hans Selye (1907 – 1982). Er hat den Begriff „Stress“ geprägt und gilt mit seinen Schriften als Vater der Stressforschung. Bei Stress handelt es sich um eine physiologische Reaktion, bei der der Körper in einen Zustand erhöhter Alarmbereitschaft versetzt wird, präzisiert auf Nachfrage das Kepler Universitätsklinikum. Das sympathische Nervensystem wird aktiviert, um eine schnelle Reaktion zu ermöglichen – etwa durch die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol. Auf kurze Sicht kann diese Reaktion hilfreich sein, um fokussiert zu bleiben und Herausforderungen zu bewältigen. Langfristig jedoch, wenn der Stress chronisch wird, kann er den Körper und Geist erheblich belasten und zu gesundheitlichen Problemen führen. „Stress wird dann gefährlich, wenn er chronisch wird. Über längere Zeiträume kann er das Gleichgewicht des Körpers stören und zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen, darunter auch Burn-out“, sagt Sandra Wolfinger, Oberärztin an der Psychosomatischen Tagesklinik am Neuromed Campus in Linz. Wenn der Körper keine ausreichende Erholungsphase bekommt, kann es zu einem völligen Energieverlust kommen – ein Zustand, der als Burn-out bezeichnet wird. Das ist ein schleichender Prozess. Zu den ersten Symptomen gehören emotionale Erschöpfung, eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeit und das Gefühl der Überforderung.

Im Eisbad die Resilienz stärken
Das Department für Psychosomatik am Neuromed Campus Linz bietet inzwischen spezielle therapeutische Programme an: Kognitive Verhaltenstherapien, progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Achtsamkeitstraining, Ergo-, Kunst- oder Musiktherapie sollen Betroffenen in einem mehrwöchigen Aufenthalt wieder zu mehr Lebensfreude verhelfen. Stressmedizin hat als Präventionsmaßname nicht nur in Unternehmen Einzug gehalten. Auch die Ausbildungsstätten künftiger Führungskräfte reagieren auf den hohen Bedarf mentaler Unterstützung. Laut des jährlich durchgeführten Mental-Health-Barometers von Instahelp und Studo fühlt sich die Hälfte der Studierenden in Österreich psychisch belastet. Die Zahlen erinnern an die Aussage des deutschen Star-Soziologen Hartmut Rosa (59), der von einer kollektiven Erschöpfung spricht. Für die Wirtschaftsuniversität Wien (WU) ein Alarmzeichen – sie bot als Reaktion darauf an zwei Tagen Anfang April wieder die „Student Wellbeing Days“ an. Die Angebote sollen Prüfungsstress, Leistungsdruck, Schlafstörungen und allgemeines Wohlbefinden behandeln, das Wissen darüber soll dabei auch als wichtige Grundlage für den späteren Berufsweg dienen. Mit den Themen der „Wellbeing Days“ ist die Hochschule zeitgeistig hart am Wind: In „Breathing like the Ice Man“ soll durch Atemtechniken und Eisbad die Resilienz gestärkt und der Umgang mit Stress verbessert werden. „Finding rest in movement“ wirkt sich auf die Fähigkeit aus, sich zu erholen und zu regenerieren, als Basis zur Förderung guter Leistungen. Und in „Fail Forward – Rückschläge und Misserfolge als Chance“ geht es darum, Fehlerkultur zu entwickeln, „um am Scheitern zu wachsen“.

Initialzündung im Luxus-Ressort
Das Angebot klingt nach jenen Wellness-Oasen und Fasten-Kliniken, die für die betuchte Klientel nicht nur Schlammkuren, sondern einen medizinischen Mehrwert und einen spirituellen Reset anbieten können. In Montenegros „One&Only Portonovi“ kann man in einer Kryokammer bei minus 110 Grad Celsius frieren. Auf die Behandlung in der Kältekammer schwören Fußballstar Cristiano Ronaldo oder Jennifer Aniston. In Deutschland sticht die „Buchinger Wilhelmi“ Fastenklinik am Bodensee heraus. Sie bietet ein Fastenprogramm an, das bis zu 72.000 Euro für 28 Nächte kosten kann. Zu den Patienten zählen einflussreiche Top-Manager aus aller Welt. An der spanischen Costa Blanca zahlen gestresste Führungskräfte für eine Woche „Leader‘s Performance“ in der SHA-Wellnessklinik 6.000 Euro ohne Unterkunft, aber dafür mit Anti-Aging-Medizin, Ozon-Therapie oder Hormonberatung. Vom hochwertigen Gesundheitstourismus profitiert auch der Lanserhof in Tirol und auf Sylt. Die stark expandierende Wellness-Gruppe setzt auf Schlafmedizin und Longevity – also Langlebigkeit. Ist ein Besuch dieser Fasten-Kliniken und Edel-Spas wirklich sinnvoll? „Es kann eine Initialzündung sein. Man muss ein bisschen Bescheid wissen, wie die Dinge zusammenhängen und wie man so einen Impuls am Leben erhalten kann“, sagt der ehemalige Skisprung-Star, Autor und Trainer Toni Innauer (67) im Interview (S. 17). Der Olympiasieger plädiert auch für konstante Schlafenszeiten. „Wenn das immer durcheinanderkommt, ist das wie ein sozialer Jetlag, bei dem mein Körper nie weiß, wie er funktionieren soll.“

Ein Werkzeugkoffer für Manager
Der gebürtige Vorarlberger Innauer wurde in den 1970er Jahren unter Trainer Baldur Preiml zur Legende. 1976 erhielt er als erster Skispringer der Geschichte für einen Flug von den Sprungrichtern fünfmal die Note 20, nur sechs weitere Springer schafften das nach ihm. Preiml war übrigens einer der ersten Trainer in diesem Bereich, die Mentaltechniken wie Qigong bei seinen Schützlingen einsetzten. Heute findet das auch im Management Eingang. „Topmanagement ist quasi Höchstleistungssport. Daher sind diese Methoden auch eins zu eins auf die Wirtschaft umlegbar“, erklärt Herwig Haunschmid. HRV, Fokus, Kraft, Meridianenergie, Selbsthypnose und Unterbewusstsein würden demnach in den oberen Führungsetagen unterschätzt. Haunschmid war in seinem Berufsleben auch mit herben Niederlagen konfrontiert, etwa als die von ihm mitgegründete Mechatronik-Forschungsfirma Vatron GmbH von ihren Eigentümern voestalpine und der damaligen Siemens VAI nach 13 Jahren erfolgreicher Aufbauarbeit filetiert und rückintegriert wurde. „Ich war damals gerade in den USA auf einem Wettbewerb, als mich der Anruf von Voest-Chef Wolfgang Eder erreichte. Das tat weh.“ Sein Rüstzeug, mit solchen Situationen umzugehen, holte er sich unter anderem von Rainer Holzinger, mit dem er während der Pandemie auch Webinare durchgeführt hat. Der Psychologe, Psychotherapeut und Führungskräfte-Coach arbeitet mit Vorständen großer Betriebe zusammen und betreut Sportler wie die Siebenkämpferin Verena Mayr. Sein Institut H&H befindet sich an der Anton-Bruckner-Universität Linz, wo der ausgebildete Querflötist auch unterrichtet. Seine Themen sind unter anderem: Psychologisches Auftrittstraining / Punktgenau funktionieren /
Ungenutzte Potenziale oder Zeit- und Stressmanagement. Musiker sitzen mit Spitzensportlern und Managern im selben Boot: Sie sollen ihr Können auf der Bühne ohne Panik- und Schweißausbrüche abspulen. Das funktioniert unter anderem dank der Meridian-Energietechnik, einer Klopftechnik auf Akupressur-Punkte, die gegen Ängste und Phobien eingesetzt wird. „Ich wollte immer eine Toolbox und keine Couch – und die habe ich bekommen. Einen Werkzeugkoffer mit jeweils einem Tool für Entspannung, für Fokus und einem zum Kraftanreichern. Bilder werden via Selbsthypnose im Gehirn verankert und im Bedarfsfall abgerufen“, erhellt Haunschmid. Hokuspokus? „Nein, ich bin Techniker und habe die physikalischen Messwerte beim Bio-Feedback gesehen. Wie viel mir die mentale Seite gebracht hat, zeigte sich dann auch in der Praxis an den Erfolgen.“

Die Toolbox der Stoiker
Stress heißt nicht zwingend, zu viel Arbeit zu haben, Stress kann alle mögliche Ursachen haben. Zu viel Medienkonsum etwa. „Panik macht sich breit: Wie Trump die Finanzmärkte aus den Angeln hebt“ war im „Standard“ zu lesen. Auch die Ars Electronica hat für ihr „Festival for Art, Technology & Society“ im Herbst die Panik zum Schwerpunkt erkoren. „Panik, ja oder nein? Sollten wir nicht längst schon in absolute Panik geraten? Warum sind wir es nicht? Die Gründe für Panik scheinen zahllos. Oder ist alles nur Panikmache?“ heißt es im Programmheft. „Wir werden im Moment ja geradezu überschwemmt von schlechten oder manchmal auch sehr beunruhigenden Nachrichten“, sagt Philosophie-Professor Thomas Macho (73) im Gespräch mit CHEFINFO. Alle diese Nachrichten geben vor, dass sie auf Ereignisse bezogen sind, auf Statements, auf Interviews oder eben im schlimmsten Fall auf irgendwelche Postings von Präsidenten. „Und das ist natürlich, gemessen an den Problemen, die wir wirklich lösen müssen – von der Wirtschaft bis zur Klimakrise –, der falsche Weg“, folgert der gebürtige Wiener. Er hält die stoische Haltung, „Ruhe und Gelassenheit zu bewahren“, für wichtig und höchst aktuell, „vor allem, weil sich die Probleme unserer Zeit nicht so schnell lösen lassen“. Laut dem US-Schriftsteller Ryan Holiday („Der tägliche Stoiker. 366 Betrachtungen über Weisheit, Beharrlichkeit und Lebensstil“) hatten Stoiker wie Epiktet, Seneca oder Marc Aurel neun Grundprinzipien für Führungskräfte, die eine Toolbox auch für die heutige Zeit darstellen. Dazu zählen unter anderem der Fokus auf das Wesentliche, Klugheit und Einfallsreichtum bei der Durchführung einer Aufgabe, Demut und Bescheidenheit sowie die Idee, dass Zuhören wichtiger ist als Reden.

Die Informationsflut meistern
„Wahrer Erfolg ist für den Stoiker innerer Erfolg – was um ihn herum passiert, nimmt er nach Möglichkeit achselzuckend hin“, sagt Bestsellerautor Rolf Dobelli (58). Der Schweizer, der sich selbst als Anhänger der Stoa bezeichnet, löste mit seinem 2019 erschienenen Buch „Die Kunst des digitalen Lebens: Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern“ eine veritable Medien-Diskussion aus. Mit dem Hinweis, dass das Neue nicht das Relevante ist, legte der geläuterte News-Junkie ein Bekenntnis zur Abstinenz ab: „Seit ich keine News mehr lese, hat mich außer dem Ukraine-Krieg nichts überrascht, was auf der Welt passiert.“ Nachrichtenkonsum lenkt uns vom Wesentlichen ab, setzt unseren Organismus unter Dauerstress, höhlt uns von innen her aus, schwächt unsere Willenskraft und führt uns in die Abhängigkeit, alle Augenblicke auf kleine Monitore zu starren, die unsere Lebenszeit gnadenlos fressen. Laut Dobelli versteht der dauerhaft News-Berieselte die Welt nicht besser, sondern schlechter, er leidet an Wahrnehmungsverzerrungen und trifft deshalb mehr falsche Entscheidungen. „All die Breaking News, die den Tag über auf uns einströmen, sind nur die Illusion von Wissen. News sind für das Hirn, was Zucker für den Geist ist“, sagt Dobelli – und er zitiert Marc Aurel: „Warum dich durch die Außendinge zerstreuen? Nimm dir die Zeit, etwas Gutes zu lernen, und höre auf, dich wie im Wirbelwind umhertreiben zu lassen.“ Inwieweit Dobelli sich treu bleibt, lässt sich nur schwer beurteilen. Er gibt nur einmal pro Halbjahr ein Interview, nimmt an keinen Talkshows teil und bittet auf seiner Homepage von Einladungen zu Podcasts und Co. Abstand zu nehmen. Eines ist sicher: Noch nie war die Antistress- und Ratgeber-Industrie umtriebiger als heute. Dazu zählt etwa auch die Österreicherin Monika Schmiderer (41), die mit ihren Büchern als die „Digital Detox“-Expertin im deutschsprachigen Raum gilt und für digitale Auszeiten sowie Handy-Verzicht plädiert.
