Schrecklich reiche Familien
Viele Menschen überblättern den Wirtschaftsteil ihrer Tageszeitung, es sei denn, Familienfehden mächtiger und verschwiegener Clans werden darin lustvoll ausgebreitet. Reichtum, Glamour und Macht, Liebe und Hass, Aufstieg und Fall haben immer schon fasziniert. Einblicke in den alten Unternehmensadel beflügeln die Phantasie von Schriftstellern, Drehbuchautoren und Journalisten seit jeher. Blicken wir zurück auf das Jahr 2019. Als die ÖVP-Wahlspender bekannt wurden und das Thema medial hochkochte, rückte die Milliardärin Heidi Goëss-Horten ins Licht der Öffentlichkeit. Die in Kärnten lebende Mäzenin spendete eine Million Euro an die Kurz-Partei. Über die Motive für so ein Tun „kann großteils nur gerätselt werden“, schrieb die linksliberale Tageszeitung „Der Standard“. Dabei sind die Beweggründe für die Spendierfreudigkeit in diesen Kreisen oft banaler, als manche denken: Reiche lieben Kunst, unterstützen Sportlernachwuchs, engagieren sich bei sozialen Projekten und spenden für einen Politiker, weil sie ihn mögen. Heidi Horten hat ein Milliardenvermögen und gilt als reichste Frau Österreichs.
Alleinerben haben es besser
Hortens Geschichte böte genügend Stoff für Seifenopern, wie wir sie aus den 1980er-Serien „Dallas“ oder „Der Denver- Clan“ kennen. Wie „Quelle“-Gründer Gustav Schickedanz (1895 – 1977) hatte sich auch „Kaufhauskönig“ Helmut Horten (1909 – 1987) „arisierte“ Unternehmen angeeignet und eine deutlich jüngere Sekretarin angelacht. Heidi, geborene Jelinek, war 19 und Horten 51. Er lernte sie an der Bar eines Hotels in Velden am Wörthersee kennen und erkor sie zur Alleinerbin. Beide hatten weder Kinder in die Ehe eingebracht noch gemeinsamen Nachwuchs, der das Unternehmen weiterführen, in den Ruin treiben oder das Erbe verjuxen hätte können. So verkaufte Horten seine Kaufhauskette und nach seinem Tod verblieb ein Vermögen von geschätzt einer Milliarde US-Dollar. Die Witwe wurde dank gewiefter Vermögensverwalter reicher und reicher. Sie heiratete noch zwei Mal.
Die meisten Konflikte spielen sich innerhalb des magischen Dreiecks von Macht, Liebe und Geld ab.
Von Shakespeare bis heute
Der exzentrische Brite war ein anderes Kaliber. Er hatte neun Kinder und verschwand auf rätselhafte Weise 1991 von seiner Jacht. Der Medienzampano soll Modell für die 2018 erstmals ausgestrahlte HBO-Serie „Succession“ (engl. Nachfolge) gestanden haben, die bei uns auf „Sky“ zu sehen ist. Natürlich sind auch Parallelen zu Rupert Murdoch oder William Randolph Hearst erkennbar, den Orson Welles in "Citizen Kane" bereits zum Vorbild nahm. Im Zentrum von "Succession" steht die fiktive Dynastie des alternden Medienmoguls Logan Roy und der gnadenlose Machtkampf seiner vier Kinder um die Nachfolge. In der ersten Staffel offenbart der Patriarch an seinem 80. Geburtstag, dass er dem Unternehmen doch noch langer als Boss erhalten bleibe. Damit ist die Schlacht um die Nachfolge eröffnet. Die Produzenten reizte die Frage, was passiert, wenn diese große Macht in der eigenen Familie weitergereicht wird – und verweisen auf die Tragödie von „König Lear“. Shakespeare beschreibt in seinem 1605 verfassten Drama einen alten Herrscher, der abdanken und das Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen will. Eitelkeit und Machtverliebtheit machen ihn blind für die Liebe seiner jüngsten Tochter, die er enterbt. Die beiden anderen Tochter erhalten alles und verstoßen daraufhin ihren Vater, der dem Wahnsinn verfallt.
Prinz-Charles-Syndrom
Familiengeführte Medienkonzerne im angelsächsischen Raum sind offenbar prädestiniert für Dramen dieser Art, zumindest solange exzentrische Magnaten wie Rupert Murdoch an der Spitze stehen. Der 89-Jahrige kann nicht loslassen, während seine beiden Sohne Lachlan und James zerstritten sind. Heute zertrümmert die Internet-Revolution die alten Medienreiche und Murdoch wurde vom Gestalter zum Gejagten. Dabei wollte es der Australier nicht Viacom-Gründer Sumner Redstone (MTV, Nickelodeon, Paramount) gleichtun, der seiner 65-jährigen Tochter Shari Redstone erst nach einer jahrelangen Schlammschlacht die Geschäfte übergeben hat. Noch mit 91 Jahren sagte der schwerreiche Redstone, dass es keine Diskussion um die Unternehmensnachfolge gibt, „weil ich nicht sterben werde“. Das Prinz-Charles-Syndrom – benannt nach dem „ewigen Thronfolger“ im Buckingham-Palast – ist überall. Sumner Redstone starb im Vorjahr 97-jährig.
Plötzlich im Scheinwerferlicht
So spannend Familiendramen für andere anzusehen sind, für die Unternehmen selbst sind die nicht selten öffentlich ausgetragenen Fehden existenzgefährdend – oder zumindest unangenehm. Für Schlagzeilen sorgte 2010 der skurrile Fall der damals 87-jährigen L’Oreal-Erbin Liliane Bettencourt. Ihre Tochter wollte sie gerichtlich entmündigen lassen, weil sie fast eine Milliarde Euro an den Künstler Francois-Marie Banier in Form von Gemälden, Immobilien und Lebensversicherungen verschleudert hatte. Die Affäre brachte auch den damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy in Bedrängnis – es ging um Steuerhinterziehung und illegale Parteispenden durch Madame Bettencourt. Der Familienstreit an der Seine wird bei weitem übertroffen von jenem internen Twist in Down Under. Die australische Industrielle Gina Rinehart prozessierte nicht nur jahrelang gegen ihre Stiefmutter um die Herausgabe von umgerechnet 26 Millionen Euro, sondern lag auch mit ihren vier Kindern um die Familienstiftung im finanziellen Dauerclinch, der Australien über Wochen in Atem hielt. Ihren Kindern ließ die „Eisenlady“ ausrichten, sie sollen „ihren Lebensstil ändern“ und den Neidern empfahl die als „Steinzeit-Kapitalistin“ titulierte Minen-Erbin, „nicht herumzusitzen und zu jammern, sondern weniger zu trinken und zu rauchen, aber dafür mehr zu arbeiten“.
Anna-Karenina-Prinzip
Rache ist immer schon eine Triebkraft im Kampf um Macht und Geld gewesen. „Weh dir, dass du ein Enkel bist“, sagt Mephistopheles in Goethes „Faust“. Thomas Mann (1875 – 1955) arbeitete sich konsequent auf 1.000 Seiten und in dichterischer Kleinarbeit an der eigenen Familiengeschichte ab. In „Buddenbrooks“ beschrieb er den Niedergang einer altehrwürdigen Kaufmannsfamilie aus Lübeck. Für den Roman zog er sich den Groll seiner Familie zu, erlangte aber die Gunst des Publikums. Später erhielt er für sein Werk sogar den Literaturnobelpreis. Aber warum stürzen manche Familien ins Unglück und andere nicht? Die meisten Konflikte in einem Familienunternehmen, gleich welcher Größe, spielen sich fast immer innerhalb des magischen Dreiecks von Macht, Liebe und Geld ab. „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, schrieb Leo Tolstoi. Dieses Zitat bildet die Grundlage des Anna-Karenina-Prinzips: Während für eine glückliche Familie viele Faktoren (sexuelle Anziehung, Geldfragen, Kindererziehung, Religion, Schwiegereltern) passen müssen, braucht bei einer unglücklichen Familie nur einer dieser Faktoren nicht zutreffen.
Von Bahlsen bis Volkswagen
Und das Unglück kommt meist nicht über Nacht, es braut sich wie in der Drama-Serie „Succession“ langsam zusammen – bis zur Eskalation vor Gericht. So geschehen beim Seilbahn-Pionier Doppelmayr. Artur Doppelmayr, Firmenpatriarch alter Schule, baute das Unternehmen zum Weltmarktführer auf und zog sich nach der Übergabe an seinen Sohn Michael in den Aufsichtsrat zurück. Ab der Jahrtausendwende bis zu seinem Tod 2017 bekämpfte der Senior die Entscheidungen seines Sohnes vor Gericht. Klassische Dramen, die sich über Jahre hingezogen haben, trugen sich auch in anderen Familiendynastien mit klingenden Namen zu: Bahlsen oder Dr. Oetker. Konfliktgestählt war auch Porsche-Enkel Ferdinand Piech (1937 – 2019), der mehr als 20 Jahre die Geschicke des Volkswagenkonzerns bestimmte. Er bekämpfte sich regelrecht mit dem anderen Clan-Chef Wolfgang Porsche um Einfluss und Macht in Europas größtem Konzern. Piechs Milliarden-Erbe traten seine Witwen und seine insgesamt 13 Kinder an - nicht ohne Streit um Vermögen, mehrere Testamente und ein ein verschwundenes Samuraischwert. Genügend Stoff also für die Serie „Succession“, deren 3. Staffel im Laufe des Jahres ausgestrahlt wird.