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Symbolbild Reparieren
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Repair Shops: Wie repariert man die Wirtschaft?

15.12.2020 um 12:29, Jürgen Philipp
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Reparieren statt Wegschmeißen, Kreislaufwirtschaft, Neues aus Altem machen – ist das der Schlüssel zu einer neuen Post-Corona Ökonomie? Vier Personen, die der Wegwerfgesellschaft ein Ende setzen wollen, schildern, wie sie die angeschlagene Wirtschaft reparieren würden.

Wer hätte gedacht, dass Fürst Albert von Monaco in seinem Palast mit dem Schraubenzieher zugange ist? Und wer hätte gedacht, dass Albert so gar nichts von Verschwendung hält. „Wir wissen heute: Alles, was wir machen, hat eine Wirkung, auch im Kleinen. Wir müssen Dinge nachhaltiger tun, das predige ich immer wieder. Auch in den eigenen vier Wänden“, wird der Monarch in der „Bunten“ zitiert. Vielleicht hinterfragt er so wie immer mehr Menschen auch sein Konsumverhalten und stellt sich Fragen wie „Brauche ich das wirklich?“. Manche von ihnen haben die Antwort bereits gefunden. Man muss auf nichts verzichten, denn alles ist schon vorhanden. Man muss es oft nur reparieren und wieder verarbeiten. Eine von ihnen ist Martina Eigner. Der Mitgründerin und Organisatorin der Nähküche in Linz, einer Nähwerkstatt, die allen offensteht, scheint das in den Genen zu liegen. „Meine Oma eröffnete in den 1960er Jahren den ersten Secondhandshop in Linz.“ Doch in den 1980er und 1990er Jahren stagnierte Omas Laden. Gebrauchtes war out, der Weg in die Wegwerfgesellschaft geebnet. Aus dieser Gesellschaft möchte Eigner wieder aussteigen und gründete mit anderen 2012 die Nähküche als Verein. Eine Pionierleistung: „Wir waren damals definitiv die Ersten.“

Von „anrüchig“ zu „hip“

Was 2012 noch ein wenig als „anrüchig“ wahrgenommen wurde, nämlich aus gebrauchten Sachen Neues zu machen, ist heute „in“. „Anfangs kamen Menschen, die wenig Geld hatten und sich ihre Kleidung selbst reparierten. Heute ist es in, upzucyceln. Doch wer das Ganze als Trend versteht, versteht nicht, um was es geht.“ Der Grundgedanke der Nähküche war es, dem Überfluss etwas entgegenzusetzen. „Manche Menschen haben so viele Sachen, die sie nicht mehr brauchen und die sogar froh sind, wenn sie diese hergeben können.“ Textilien und Stoffe, die noch in Ordnung sind, bringt die Kunsthandwerkerin in Secondhandshops, aus kaputten Dingen schneidert sie mit ihren Mitstreiterinnen Neues. So werden aus löchrigen Jeans etwa stylishe Taschen. Das Wissen wird auch in Form von Workshops für Kinder und Erwachsene weitergegeben. Nichts soll verschwendet werden, denn: „Es ist genug da.“

Es wird wieder mehr genäht

Gerade die Textilindustrie ist ein extrem hoher Ressourcenverbraucher. „Sinnbildlich dafür steht der Aralsee. Als man dort begann, Baumwolle anzupflanzen, veränderte sich das gesamte Klima, der See trocknet aus. Es gibt dort keinen Fischfang mehr.“ Eigner beobachtet ein langsames Umdenken und, dass wieder mehr selbst – nicht zuletzt während der Lockdowns – zur Nähmaschine gegriffen wird. Doch es gibt auch einige Dilemmas.

Wir wissen, dass unser System nicht funktioniert. Daher müssen wir das Credo des ständigen Wachstums aufgeben. (Martina Eigner, Nähküche, Linz)

Wer gut gemeint seine Kleidung nach Afrika spendet, zerstört damit die Wirtschaftsgrundlage der dortigen Näherinnen. Wenn gar nichts mehr in den Großnähereien in Asien gekauft wird, macht das die Näherinnen vor Ort arbeitslos. Was also tun? „Man sollte sich von den großen Ketten abwenden und kleine Geschäfte aufsuchen, die ihre Lieferanten und die Bedingungen vor Ort kennen.“ Von diversen Gütesiegeln, die Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen propagieren, hält Eigner nicht viel. „Große Ketten präsentieren sich grün und nachhaltig, nur vergeben die ihre Aufträge an Subfirmen, die sich an nichts halten müssen. Außerdem zahlen große Ketten nur ganz wenig bis gar keine Steuern, und es entsteht ein Kaufkraftabfluss.“ Westliche Länder geben sich dabei oft zynisch. „Selbst Sweatshops werden damit gerechtfertigt, dass der Westen Know-how einbringt, und das wird dann auch noch als Entwicklungshilfe verkauft.“

Martina Eigner, Nähküche. Eine offene Nähwerkstatt, Linz
Wir wissen, dass unser System nicht funktioniert. Daher müssen wir das Credo des ständigen Wachstums aufgeben.

Junge denken um

Eigner ist daher wütend: „Wir wissen, dass unser System nicht funktioniert. Daher müssen wir das Credo des ständigen Wachstums aufgeben. Es herrscht die ‚Geiz ist geil‘-Mentalität, doch es geht darum, dass wir alle miteinander auskommen müssen.“ Sozialer Friede wird laut Eigner zu einem wichtigen Standortkriterium und der scheint für sie gefährdet: „Wir müssen das soziale Miteinander wieder forcieren, und Arbeit, die wir exportiert haben, wieder zurückholen.“ Auch die in der Krise größer gewordene Kluft zwischen Arm und Reich gefährdet für die gelernte Grafikerin den sozialen Frieden. Der erodierende Mittelstand habe Angst, auf etwas verzichten zu müssen. Doch Eigner sieht einiges in Bewegung: „Das Umdenken ist noch nicht in der breiten Masse angekommen. Doch junge Menschen fragen sich immer öfter, ob sie gewisse Dinge überhaupt noch brauchen.“ Sie räumt aber auch ein, dass „es eine Art Luxus ist, darüber nachzudenken. Die ‚Fridays for Future‘-Bewegung hat diesen Luxus. Ich kann das nicht von jemandem erwarten, der Existenzängste hat und sich um Kinder und Einkommen sorgen muss.“

Von Secondhand zu Vintage

Szenenwechsel: Schon vor 30 Jahren begann die Volkshilfe OÖ mit Secondhandshops. Ursprünglicher Gedanke: Günstige Waren für sozial Schwache anzubieten, gleichzeitig integrative Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zu schaffen und Geld für weitere Sozialprojekte zu lukrieren. „Im Laufe der Jahre hat sich das stark professionalisiert. Wir haben 21 Standorte in OÖ und rund 300 Mitarbeiter“, erzählt Fred Edlinger, Bereichsleiter der Volkshilfe Shops. Begonnen hat alles sehr rudimentär. „Seit den 2000er Jahren sind wir weg vom Flohmarkt-Image hin zu professionellen Shops. Wir sind natürlich kein Antiquitätenhändler, aber ‚Vintage‘ ist in aller Munde und das kommt uns zugute.“ Der neueste Shop hört auf den Namen „Kreisler*in“ und ist in der Tabakfabrik untergebracht. Dort werden nicht nur Waren feilgeboten, sondern Kuchen kredenzt, die von Pensionisten gebacken wurden, und er ist zugleich ein Repair Café. „Zu unseren Shops kommt neben dem sozialen Aspekt immer mehr ein ökologischer hinzu. Wir geben Waren eine zweite Chance und verlängern so die Lebensdauer.“

Zu unseren Shops kommt neben dem sozialen Aspekt immer mehr ein ökologischer hinzu. Wir geben Waren eine zweite Chance.

Die Waren werden von Privatpersonen und Firmen gespendet. „Seit zehn Jahren arbeiten wir mit der OÖ Abfallwirtschaft zusammen und recyceln bzw. reparieren Waren in unseren ReVital Shops.“ Shops, die vom Umweltressort des Landes OÖ unterstützt werden. „Das Land bietet auch einen Reparaturbonus. Wer etwa eine Waschmaschine reparieren lässt, bekommt bis zu 100 Euro Zuschuss.“

Fred Edlinger, Leiter Volkshilfe Shops
Fred Edlinger ist Herr über 21 Volkshilfe Shops in OÖ mit rund 300 Mitarbeitern. Auch Repair Cafés in Eferding und Rohrbach sind darunter.

Reparieren als soziales Erlebnis

In den Repair Cafés werden Föhne, Toaster und andere Geräte wieder in Gang gesetzt. Dinge, bei denen, sobald eine professionelle Reparatur fällig ist, meistens der Standardsatz „Das zahlt sich nicht mehr aus“ fällt. In den Cafés in Eferding und Rohrbach werden oft Kleinigkeiten wie lose Kabel oder Sicherungen repariert und die Lebensdauer wird verlängert. Repariert werden diese Geräte meist von Pensionisten: „Sie stellen ihr Know-how gerne zur Verfügung. Man kommt zusammen, lernt sich kennen und löst gemeinsam ein Problem.“ Umso ärgerlicher, dass sich viele Produkte nicht reparieren lassen. „Föhne sind oft so verpresst, dass man sie nicht mehr aufschrauben kann. Dazu gibt es viele Geräte mit einer geplanten Obsoleszenz.“ Bei solchen Geräten ist das „Ablaufdatum“ eingebaut, sie werden nach einer gewissen Zeit einfach kaputt, um den Neuverkauf anzukurbeln. „Wichtig wäre, dass da Druck auf die Hersteller ausgeübt wird, damit Produkte reparierbar bleiben. Man muss da die Hersteller in die Pflicht nehmen.“ Für Edlinger wäre das eine Chance für den Mittelstand, vor allem „für Menschen, die mit ihren Händen etwas reparieren können. Das Bewusstsein und die Wertschätzung dafür sind in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen, vor allem bei den Jungen“. Er bleibt aber skeptisch: „Wie nachhaltig das sein wird, werden wir sehen, wenn die großen Rabattschlachten wieder losgehen.“

Völlig neue Kundengeneration

Wir wechseln in die Werkstatt von Willibald Atteneder. Der Schuhmachermeister betreibt seit 21 Jahren seine Schusterei in Linz. „Früher kamen die älteren Herrschaften, jetzt vermehrt Jüngere. Die Kundengeneration hat sich verändert und auch die Wertschätzung gegenüber der Arbeit. Junge Menschen wissen, was es kostet. Und sie kaufen öfter etwas Hochwertigeres.“

Der Umweltgedanke wird wichtiger, denn es gibt nichts Nachhaltigeres, als etwas zu reparieren.

Atteneders 25-jähriger Sohn Johannes ist Teil dieser Generation und ebenfalls im Betrieb tätig. „Er war in seinem Jahrgang der Einzige in Oberösterreich, der das Handwerk erlernte.“ Die Reparatur von Schuhwerk ist und bleibt die Haupttätigkeit der Two-Men-Show. „Die Arbeit ist sehr zeitintensiv, oft sind Materialwert und die Schuhe selbst vom Wert her sehr gering, damit klingen die eparaturkosten für so manche ziemlich hoch. Aber man muss es so sehen: Wo wurde der Schuh produziert? Meist in einem Billiglohnland. Da hinkt der Vergleich mit unserem Standort natürlich.“ Dennoch sind immer mehr Menschen bereit, Schuhe zur Reparatur zu bringen. „Der Umweltgedanke wird wichtiger, denn es gibt nichts Nachhaltigeres, als etwas zu reparieren. Der Schuh nimmt sogar an Wert zu, wenn wir ihn reparieren, denn wenn wir einen neuen Absatz draufkleben, dann funktioniert er wieder zwei Jahre lang.“

Willibald und Johannes Atteneder, Meister Atteneder Schuhmacherei, Linz
Willibald Atteneder (hinten) und sein Sohn Johannes halten das Schuhmacherhandwerk in Linz hoch.

Steuersenkung für Reparaturen

Atteneders Kunden leisten damit einen einfachen Beitrag für die Umwelt, denn wer einen neuen Schuh kauft, muss die Umweltbelastung bei Produktion und Transport mitrechnen. „Reparieren macht also absolut Sinn. Die angedachte Steuersenkung für Reparaturbetriebe wäre da ein guter Anreiz.“ Auch dass wieder vermehrt in Europa produziert werden würde. „Damit bekommt man zwar hochpreisigere, aber auch hochwertigere Waren, für die sich eine Reparatur wieder auszahlt, und wir würden viel weniger Ressourcen vergeuden.“ Damit würde auch das Ansehen des klassischen Handwerks steigen: „Man versteht viel zu wenig vom Handwerk. Die Menschen haben keine Ahnung, wie viel Arbeit und Zeit darin stecken.“ Das macht auch das Lösen globaler Probleme schwer: „Bei Corona haben wir gesehen, dass sofort etwas passieren muss. Der Klimawandel schleicht sich hingegen ein, er ist nicht so unmittelbar spürbar.“ Stieg man bei der Pandemie sofort auf die Bremse, wird es beim Klimawandel nach Atteneders Meinung „wohl noch einige Generationen dauern“. Doch erste Schritte sind sichtbar. Die Abkehr von der Wegwerfgesellschaft könnte da ein entscheidender sein.

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