Oberösterreichische Industrie: Ein Fels in der Brandung
CHEFINFO: Wir befinden uns fast am Ende eines Jahres, das von der Corona-Pandemie geprägt war. Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Axel Greiner: Es ist ein Jahr, für das es keine Vorbilder und keine Erfahrungen gibt, auf die man zurückgreifen kann. Das ist absolutes Neuland, auf das wir uns haben einlassen müssen als Industrie. Was wir jetzt erleben, kennt man allenfalls aus den Geschichtsbüchern der großen Krisen. Die oberösterreichische Industrie zeigte in diesem Jahr im Großen und Ganzen erstaunliche Widerstandskraft. Sie hat ihre Lehren aus der Finanzkrise 2008 gezogen und versteht es, schnell und flexibel auf sich veränderte Gegebenheiten zu reagieren. Eine wichtige Lehre nicht nur für die Industrie, sondern für uns alle, ist die Erkenntnis, dass sich die Dinge unerwartet schnell ändern können. Der Gesetzgeber sollte darauf vorbereitet sein und einen Rahmen bieten, damit öffentliche Verwaltung, Bildung und Schule, Wirtschaft und Industrie relativ schnell auf extreme Situationen reagieren können.
Der Aufschwung über die letzten Monate war stark und die Branchenpalette an Firmen ist breit, denen es gut bis sehr gut geht.
CHEFINFO: Wie ist die Stimmung in der Industrie und wie steht es um die Auslastung der Betriebe?
Joachim Haindl-Grutsch: Der große Unterschied zum ersten Lockdown ist, dass Lieferketten funktionieren und der grenzüberschreitende Personen- und Güterverkehr intakt ist. Damit ist die Industrie jetzt wesentlich geringer getroffen. Der Aufschwung über die letzten Monate war stark und die Branchenpalette an Firmen ist breit, denen es gut bis sehr gut geht. Die Industrie ist jetzt eindeutig der Fels in der Brandung. Oberösterreich lebt als Exportland in erster Linie von der Industrie, die den Kern der Wertschöpfung bildet.
CHEFINFO: Bringen die angekündigten Impfstoffe und der Wechsel im Weißen Haus mehr Planbarkeit und eine Rückkehr zu offeneren Märkten?
Greiner: Ich bin etwas skeptisch, ob das mit den Impfstoffen so schnell geht. Damit im Sommer eine gewisse Normalität einkehren kann, muss die Verteilung auch wirklich klappen: Der Aufwand ist riesig, und es ist mit Verzögerungen zu rechnen. Richtig ist, dass mit den Vakzinen die Planbarkeit und die für die Industrie so wichtige Reisetätigkeit zurückkehren. Je früher großflächig geimpft wird, desto besser. Was die US-Wahl betrifft: Dass Biden ein bisschen weniger Porzellan zerschlagen möchte, ist schön, aber das ändert nichts am Faktum, gegen die Vorherrschaft Chinas auftreten zu müssen. Die geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen den drei Weltwirtschaftsblöcken Amerika, Asien und Europa gewinnen mit der Bildung des asiatischen Wirtschaftsraums an Brisanz. Europa muss achtgeben, nicht als Dritter abgeschlagen auf der Strecke zu bleiben. Das betrachte ich schon mit Sorge.
Haindl-Grutsch: Für das Wirtschaftswachstum 2021 bin ich zuversichtlich. Die aktuell sehr hohe, durch Corona verursachte private Sparquote könnte nächstes Jahr abgebaut werden und den Konsum massiv ankurbeln – und das nicht nur bei uns, sondern international. Nicht zu vergessen die Investitionsprämie: Sie wird nächstes Jahr ihre Wirkung entfalten und mit anderen Faktoren einen konjunkturellen Rückenwind erzeugen. Alles zusammen kann das 2021 einen starken Aufschwung bewirken.
Europa muss achtgeben, nicht als Dritter abgeschlagen auf der Strecke zu bleiben. Das betrachte ich schon mit Sorge.
CHEFINFO: Auch bei Maßnahmen gegen den Klimawandel gibt es unterschiedliche Zugänge der drei Machtblöcke. Wie sehen Sie das?
Greiner: Europa hat sich zum Ziel gesetzt, CO2-neutral zu wirtschaften. Zunehmend versucht die Politik in Europa, mit restriktiven Maßnahmen nicht steuernd, sondern dirigistisch und planwirtschaftlich diese Ziele zu erreichen. Das ist keine Basis, auf der man Industriepolitik Betreiben kann. In der aktuellen Debatte fehlt eine Gesamtkostenbetrachtung aus den unterschiedlichen Energie- und Klimathemen völlig – jedes einzelne Thema bringt für sich erhebliche Mehrkosten für die Betriebe. Die Gefahr von Carbon Leakage und damit den Abfluss von Arbeitsplatzen nach außerhalb Europas ist sehr groß und wird dem durch Corona massiv belasteten heimischen Arbeitsmarkt zusätzliche Probleme bereiten.
CHEFINFO: In Linz wird eine Technische Universität mit dem Schwerpunkt Digitalisierung entstehen. Ein vielversprechender Weg?
Greiner: Wir in der Industriellenvereinigung haben das Thema schon vor vielen Jahren ganz oben auf der Agenda gehabt. Wegen des starken digitalen Wandels ist es folgerichtig, dass nun eine Digitaluniversität kommt und es ist folgerichtig, dass sie in Oberosterreich angesiedelt wird. Denn hier haben wir auch die entsprechenden industriellen Prozesse. Eine Zusammenarbeit mit der heimischen Industrie und ihren Forschungsschwerpunkten in den Bereichen Robotik, Künstliche Intelligenz oder der Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen ist vielversprechend für den nachhaltigen Erfolg des Projekts. Wer – wenn nicht wir in Europa – sollte das umsetzen können?