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Befürworter von Leerverkäufen sind überzeugt, dass damit überzogene Kursanstiege korrigiert werden und der Wert von Unternehmensanteilen angepasst wird.
Befürworter von Leerverkäufen sind überzeugt, dass damit überzogene Kursanstiege korrigiert werden und der Wert von Unternehmensanteilen angepasst wird.
Kerrick / iStock / Getty Images Plus

Leerverkäufe: Big Short

19.04.2021 um 10:00, Klaus Schobesberger
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Der Hype um die GameStop-Aktie lenkte den Blick auf eine kleine Gruppe von Spekulanten, die auf sinkende Kurse wetten. Leerverkäufer sehen sich selbst als notwendiges Regulativ bei Aktienblasen und auf überbewerteten Märkten.

Es war die Stunde der Börsenrebellen, als im Jänner dieses Jahres einfache Anleger sich auf sozialen Plattformen unter dem Hashtag-Code „WallStreetBets“ organisierten. Sie waren wild entschlossen, in einem Kampf „David gegen Goliath“ den mächtigen Hedgefonds, die auf fallende Kurse von GameStop wetteten, es endlich zu zeigen. Die Aktie der schon länger angeschlagenen Handelskette für Computerspiele, die auch in Österreich mit mehr als einem Dutzend Filialen vertreten ist, erlebte dank dem Aufstand der Massen einen unverhofften Hype. Die Aktie stieg kurzzeitig um das Zwanzigfache. Für die Leerverkäufer (engl. Short Seller) war es ein mieses Geschäft: Die Hedgefonds verloren bei ihrer Wette geschätzte elf Milliarden US-Dollar. Es war ein Ereignis, das um die Welt ging und die US-Börsenaufsicht SEC auf den Plan rief. Aber es gab auch posi­tive Nebeneffekte: Plötzlich interessierten sich vor allem ­junge Menschen für Aktien und die Börse, die sonst einen ­großen Bogen um das Thema machen. Die Underdogs zeigten es den Wall-Street-Zockern der Marke ­„Gordon Gekko“, dem von Michael Douglas gespielten skrupellosen Börsenmakler im Film „Wall Street“.

Leerverkauf: Nutzen und Gefahren

Die unverhohlene Schadenfreude ist verständlich, denn manche ­Shortseller haben sich ihren schlechten Ruf als Finanzhaie redlich verdient. Dennoch bestehen bei diesem Thema ein paar Missverständnisse: „Leerverkäufe leisten grundsätzlich einen nicht unwichtigen Beitrag zu einem effizienten Kapitalmarkt. Sie haben daher eine Berechtigung – zum Beispiel zu ­Absicherungszwecken“, sagt Klaus Kumpfmüller, Generaldirektor der Hypo Oberösterreich. Kumpfmüller, der jahrelang Vorstand der Österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA war, kennt auch die andere, ­unschöne Seite der Börsenzocker: „In Zeiten sehr volatiler Kurse und von Unsicherheit am Markt besteht aber die große Gefahr, dass diese von Spekulanten missbräuchlich genutzt werden.

Zitat Klaus Kumpfmüller

Sie können mit geringstem Kapitaleinsatz enorme Gewinne machen und Unternehmen oder gar Staaten destabilisieren, weil sie Kurse von Finanzinstrumenten nach unten manipulieren und diese Kursspirale nach unten ­extrem beschleunigen.“ Nicht ohne Grund haben die Finanzmarktaufsichtsbehörden unter bestimmen Voraussetzungen, zum Beispiel bei Gefährdung der Finanzmarktstabilität, Interventionsmöglichkeiten und machen davon auch Gebrauch, zuletzt bei den starken Kursschwankungen im März 2020, um dieses missbräuchliche Spekulantentum einzudämmen. Die ganze GameStop-Geschichte sieht Kumpfmüller kritisch: „Es wurde eine Aktie in die Höhe getrieben, deren Geschäfts­modell nicht mehr tragfähig ist. Ich verstehe die Genugtuung von Privatanlegern, den mächtigen Hedgefonds ein Bein zu stellen, jedoch führt dies nicht zu einem effizienteren Kapitalmarkt, sondern zum Gegenteil. Ich kann Verabredungen zur Kursmanipulation nichts Positives abgewinnen, übrigens ist Marktmanipulation strafbar.“

In Österreich völlig unbedeutend

Zu unterscheiden ist zwischen gesicherten und ungesicherten Leerverkäufen. Im ersten Fall kauft ein Investor ­Aktien, die er sich geliehen hat, und spekuliert darauf, dass die Kurse fallen werden. Das gibt ihm die Möglichkeit, die Aktien günstiger zurückzukaufen, sie an den Verleiher zurückzugeben und die Differenz als Gewinn einzustreifen. Das andere sind ungedeckte Leerverkäufe („Naked Short Selling“), die der Verkäufer zum Zeitpunkt des Verkaufs weder besitzt noch geliehen hat. „Das ist in der gesamten Europäischen Union ­verboten, nicht jedoch in den USA. Das normale Short Selling ist in Europa erlaubt, aber meldepflichtig“, sagt Klaus Grubelnik, Pressesprecher der FMA. Und es gibt noch einen großen Unterschied: Während in den USA mit Leerverkäufen riesige Summen bewegt werden, ist in Europa das Geschäft überschaubar.

Zitat Jim Chanos

In Österreich sind nur 0,25 Prozent des ausgegebenen Aktienvolumens an der Wiener Börse Netto-Short-Positionen. Und wer sind die Shortseller bei uns? „Von den Positionsmeldungen und Marktbeobachtungen zu urteilen, sind es international tätige Hedgefonds und ausländische Investoren“, sagt Grubelnik. Ergo: Leerverkäufe spielen bei uns keine wirkliche Rolle.

Marktkorrigierend unterwegs

Befürworter von Leerverkäufen sind überzeugt, dass mit diesem Instrument überzogene Kursanstiege korrigiert werden und der Wert von Unternehmensanteilen auf ein angemessenes Niveau geholt wird. Als Beispiel wird der pleite­gegangene Finanzdienstleister Wirecard genannt, der von Hedgefonds aufgrund von Bilanz-Ungereimtheiten so lange unter Druck gesetzt wurde, bis die deutsche Finanzaufsicht Leerverkäufe von Wirecard-Aktien untersagte, „um den Finanzplatz zu schützen“. Die Aufsichtsbehörden machten ­keine gute Figur. Gegner von Leerverkäufen führen ins Feld, dass es ohnehin zu einem Kursverlust gekommen wäre. Wirecard als Betrugsfall sei außerdem nicht der Klassiker für Shorter. Die Standardtheorie in den USA besagt, dass Falschbewertungen von Aktien durch Short Selling schneller korrigiert werden. In Europa ist man da eher skeptisch, weil mit viel Marktmacht in konzertierten Aktionen von riesigen Hedgefonds Kurse gedrückt werden, etwa indem Gerüchte gestreut werden. Dass Kleinanleger wie im Fall GameStop in marktmanipulativer Absicht handeln, ist dafür ein völlig neues Phänomen.

Legendäre Shortseller

Ob Kleinanleger mit solchen ­Aktionen je reich werden, darf bezweifelt werden. Auf der anderen Seite stehen berühmte Spekulanten wie George Soros (90), der mit riesigen Hebeln gegen das britische Pfund wettete, das er für überbewertet hielt. Soros setzte mit seinem Quantum Funds auf den Zusammenbruch der Bank of England, die wiederum Milliarden an Pfund aufkaufte, um den Wechselkurs zu stabilisieren. Am Ende zwang Soros Großbritannien am 16. September 1992 in die Knie. Soros ­verdiente mit seinen Short-Positionen mehr als eine Milliarde Dollar. Das britische Pfund musste hingegen abwerten und der damalige Premier John Major eine herbe Schlappe hinnehmen. Ein anderer berühmter Investor, der mit seinen Leerverkäufen das Finanzsystem 2008 an den Rande des Abgrunds brachte, ist Michael ­Burry, ein ähnlich brillanter Analyst wie ­George Soros. Burry, der im Film „The Big Short“ von Christian Bale verkörpert wird, durchschaute als einer der wenigen das Spiel mit den faulen Immobilien­krediten, die von Ratingagenturen mit Bestnoten bewertet wurden. Wie Soros war er davon überzeugt, dass er richtig lag und der Rest der Welt falsch. Nur wenige Investoren sahen die Katastrophe kommen. Im Oktober 2005 legte Burry in seinem Investorenbrief alle seine Karten auf den Tisch und teilte mit, dass er mindestens für eine Milliarde ­Dollar Credit Default Swaps auf Subprime-Hypothekenanleihen hielt. 2008 platzte die Blase und er war in diesem Nullsummenspiel um 100 Millionen US-Dollar reicher. „Shortseller sind professionelle Skeptiker, die hinter den Hype schauen, um den wirklichen Wert einer Aktie abzuschätzen“, sagt Jim Chanos. Er ist einer der größten Shortseller der Welt, der unter anderem den Skandalfall Enron aufgedeckt hat. Chanos verdiente viele Millionen mit seinen Bärenmarkt-Positionen, unter anderem mit Wirecard. Er ist einer der bekanntesten Shortseller der Tesla-Aktie. Nach einer Kursrallye von 740 Prozent im Vorjahr haben die Aktionäre viel Geld gewonnen und Leerverkäufer wie Chanos viel Geld verloren. Seine Erkenntnis: „Wir liegen immer wieder falsch. Deswegen ist auch keine Position größer als fünf Prozent unseres Kapitals.“  

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