Konjunktur-Blues - Gegen den Wind
Nach der Nationalratswahl kam der Kater – oder wie es WIFO-Chef Gabriel Felbermayr nannte: ein Rendezvous mit der harten Realität. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und das Institut für Höhere Studien (IHS) stellten Anfang Oktober gemeinsam fest: Die Wirtschaft der Alpenrepublik schrumpft seit mehr als zwei Jahren in Folge. Für die Industrie ist es sogar durchgehend das dritte Jahr, in dem die Wertschöpfung zurückgeht. Es ist die längste Rezessionsphase seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Österreich ist in Europa Schlusslicht beim realen Wachstum pro Kopf, da sich die Zahl der Einwohner im Gegensatz zur Wirtschaftsleistung nach oben bewegte. „Fünf verlorene Jahre“, urteilt der industrienahe Thinktank Agenda Austria über die türkis-grüne Regierungsperiode. Hinzu kommt ein wachsendes Schuldenloch: Das Budgetdefizit 2024 ist mit 3,3 Prozent höher als vom Finanzministerium über den Sommer angekündigt. Eine falsche Budgetpolitik der letzten Regierung, die nun den Spielraum des nächsten Finanzministers für eine aktive Rezessionsbekämpfung stark einschränkt. „Wenn man ganz genau hinschaut, sind wir der kranke Mann in Europa“, sagt Gunter Deuber, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI).
„Extrem giftiger Zyklus“
Besonders betroffen ist die Industrie mit Lohnkosten von 46,5 Prozent je Stunde – den vierthöchsten in der Eurozone. Mit den hohen Kollektivvertragsabschlüssen stiegen auch die Lohnstückkosten. Hohe Energiepreise und immer neue EU-Regeln wie das Lieferkettengesetz belasten die Wettbewerbsfähigkeit. „Wenn dann auch noch die Umsätze stagnieren, weil Märkte wie China wegbrechen und Peking mit eigenen Produkten die Weltmärkte überschwemmt, erdrücken uns diese Kosten von unten“, warnt Thomas Bründl, Chef des Silikonteileherstellers Starlim Sterner in Marchtrenk und Vizepräsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ). Liquidität ist daher der Dreh- und Angelpunkt. Beim Thema Cash sind die Amerikaner klar im Vorteil gegenüber Europa. Unternehmen finanzieren ihre Investitionen dort überwiegend aus dem Kapitalmarkt, der in Europa in dieser Form fehlt. „Dafür werden unsere Banken immer mehr mit Regulativen zugedeckt, was auch diese Quelle langsam versiegen lässt. Wir befinden uns in einem extrem giftigen Zyklus“, resümiert Bründl.
Dämmerung der Industrieikonen
In Deutschland, von dessen Wirtschaft heimische Betriebe stark abhängig sind, findet eine „Dämmerung der Industrieikonen“ statt, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kürzlich titelte. Die Krisen von VW, BASF und Thyssenkrupp verdeutlichen, dass das deutsche Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Billige Energie aus Russland, billige Zulieferer aus Osteuropa und stetig wachsende Exporte nach China sind Vergangenheit. Politiker und Gewerkschafter sind aber immer noch in einer Welt verhaftet, die es nicht mehr gibt. Die Folge: Schleichende Deindustrialisierung und Investitionen, die überwiegend außerhalb Europas stattfinden. Starlim Sterner baute eine Fertigung im nordafrikanischen Marokko auf, um den Standort in Italien zu retten. „Obwohl Italien beim Kostenauftrieb weit hinter Österreich liegt, waren wir nicht mehr konkurrenzfähig“, sagt Bründl. Mit „SOS Wohlstand“ präsentierte die IV Anfang des Jahres eine Kampagne für eine Reparaturanleitung des Standorts. „Heute brauchen wir kein Reparaturpaket, sondern ein Rettungspaket“, sagt Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ.
Nicht allen geht es schlecht
Keine Antwort hat Österreich auch auf den demografischen Wandel, der die Volkswirtschaft trotz aktuell steigender Arbeitslosenzahlen brutal treffen wird. Es fehlen ausgebildete -Fachkräfte und Top-Talente aus dem Ausland – eine Strategie der gezielten Zuwanderung ist nur in Ansätzen erkennbar. Die Arbeitslosenquote in Oberösterreich liegt bei 4,6 Prozent, ein immer noch moderater Wert für ein Industrieland. Iris Schmidt, Landesgeschäftsführerin des AMS OÖ, rechnet mit steigenden Zahlen im Herbst und einem hohen Niveau bis Mitte 2025. „Die Industrie hat sich trotz der vielen Herausforderungen als sehr robust erwiesen und sie ist über eine -lange Zeit gut über die Runden gekommen.“ Was Oberösterreich auch von anderen Bundesländern unterscheidet: „Es gibt starke Unterschiede innerhalb der Branchen. Bei uns sind die Betriebe teilweise sehr breit aufgestellt und können manche Einbrüche ganz gut kompensieren. Es geht der Industrie nicht schlecht per se“, meint Schmidt. -Einige Unternehmen sind auch erfolgreich gegen den Wind – oder besser: mit dem Wind. So hat der Innviertler Flugzeugzulieferer FACC volle Auftragsbücher und konnte im ersten Halbjahr 2024 ein zweistelliges Umsatzwachstum verzeichnen. Miba mit Sitz in Laakirchen profitiert mit seinen innovativen Technologien vom weltweiten Boom der Windenergie. Das Wachstum findet vor allem in Offshore-Anlagen in -Asien statt. Hidden Champions wie der Intralogistiker TGW, Plasser & Theurer oder Hueck Folien legen mit Millioneninvestitionen ein Bekenntnis zum Standort ab.
„Silicon Valley der Regulierung“
„Was die Miba macht, ist wirklich stark, aber Erfolge wie diese sind in der aktuellen Lage doch eher die Ausnahme“, sagt Erich Frommwald, Geschäftsführer der Kirchdorfer Gruppe und Spartenobmann der Wirtschaftskammer OÖ. Er verweist auf eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Spectra unter den Mitgliedsbetrieben, die vor allem die Europäische Union für die schlechte Stimmung verantwortlich machen. „Bis auf Afrika werden andere Märkte als dynamischer und innovativer wahrgenommen. Der alte Kontinent hinkt hinterher. Es fehlt eine gesamteuropäische Industriepolitik als Antwort auf China und die USA“, beklagt Frommwald. Europa wollte mit dem Green Deal und Verordnungen wie dem Lieferkettengesetz die Welt verändern, „aber am Ende haben wir uns damit lächerlich gemacht“. „Wir haben auch in Europa unser Silicon Valley. Es ist leider das Silicon Valley der Regulierung“, wird Christian Sewing, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, zitiert.
„Wir bringen unsere Unternehmen um“
„Wir bringen unsere Unternehmen um“, sagt der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi bei der Präsentation seines Berichts über die Wettbewerbsfähigkeit Europas und den zunehmenden Wohlstandsverlust der Europäer. Er moniert die überbordende Regulatorik und dass Europa die digitale Revolution verschlafen hat. Die Amerikaner profitieren daher von ihren Produktivitätsgewinnen viel stärker als die Europäer. Europa hat es sich in reifen Technologien gemütlich gemacht, bei denen es kaum Potenzial für innovative Durchbrüche und folglich kein starkes Wachstum gibt – siehe Autoindustrie. Die grüne Wende als Grundlage für Europas Wirtschaftswachstum könne nur finanziert werden, wenn die Nationalstaaten sich klug koordinieren. Draghis zentrale Kritik auf: Die Staaten fördern wild kreuz und quer, ohne sich miteinander abzustimmen.
Es kommt auf die Wirtschaft an
Dass den wahlwerbenden Parteien der Draghi-Bericht keine Erwähnung wert war, ist bezeichnend. Anders als in den USA spielt die Wirtschaft in Österreich bei den Wahlen nicht die Hauptrolle. Mit dem Slogan „It’s the economy, stupid“ trug James -Carville, Wahlkampfmanager des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, 1992 wesentlich dazu bei, dass der Gouverneur von Arkansas den Amtsinhaber George Bush besiegen konnte. Oder wie der Großindustrielle und ehemalige Vizekanzler Hannes Androsch es formuliert: Auf die Wirtschaft kommt es an. „Es bedarf endlich einer schlüssigen Wirtschaftspolitik. Die notwendige Kursänderung wird schmerzhaft sein, einer sozialen Abfederung bedürfen und auf Zukunftsausgaben ausgerichtet sein müssen. Aber nur dann können wir wieder wohlstandsschaffend und wohlfahrtssichernd Fahrt aufnehmen“, schreibt Androsch. Eine neue Regierung müsse schnell ins Tun kommen, sagt Gabriel Felbermayr. Die zentrale Frage: Wie kriegt sie über die fünf Jahre hinweg eine glaubwürdige Reformpolitik hin, die sie auch durchhalten kann. „Denn was uns -heute fehlt in Österreich, sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Unternehmen, ist ein Vertrauen in die Zukunft. Weil das Vertrauen schwach ist, wird viel gespart und nicht konsumiert. Weil das Vertrauen schwach ist, wird nicht investiert.“ Statt Klimabonus-Milliarden mit der Gießkanne zu verteilen, sollten Technologie- und Forschungsförderung forciert werden.