Kettenreaktion
Die Lebensmittelbranche bekam im letzten Jahr ihr Fett ab, vor allem der Lebensmittelhandel. Oft wurde der Handel als Verursacher der hohen Preise gesehen. Es wurde daher zum Lebensmittelgipfel geladen. Vizekanzler, Sozial und Landwirtschaftsminister trafen im Mai 2023 auf Vertreter der Lebensmittel-Lieferkette, sprich vom Bauernhof zum Supermarkt. Dabei zeigte sich ein Henne-Ei-Problem. Sind die Preise aufgrund der Inflation so hoch oder treiben sie die Inflation an? Fakt ist, dass erst 2023 die stark steigenden Energie, Logistik und Rohstoffkosten voll durchgeschlagen – und sich in hohen Preisen niedergeschlagen – haben. Dazu kommen die gestiegenen Personalkosten und die Kosten für Zinstilgung, die vor allem Landwirte enorm stark betreffen.
Realer Verlust im Lebensmittelhandel
Dabei musste der mit dem Prädikat „Gierflation“ versehene Lebensmittelhandel einen Umsatzrückgang verzeichnen. Die Statistik Austria zog im Juni 2023 eine erste Bilanz. Zwar stieg der Umsatz nominell um 7,5 Prozent, real bedeutete das aber einen Verlust von 2 Prozent. Und das bei steigenden Lebensmittelpreisen (Stand Oktober 2023 + 7,6 Prozent gegen über dem Vorjahr). 2024 sollten sich alle Preise wieder halbwegs einpendeln. Spannend ist auch das Phänomen, dass manche biologisch erzeugten Fleisch- und Milchprodukte günstiger oder gleich teuer wie konventionell hergestellte wurden. Sie sind nicht von energieintensiv hergestelltem Kunstdünger abhängig und bleiben daher preisstabiler.
Hohe Preise: Gekommen, um zu bleiben?
Einen Preissturz wird es wohl auf Dauer nicht geben. Die hohen Preise sind gekommen, um zu bleiben. Da werden auch die aktuellen Lohnabschlüsse hineinspielen. Als weiterer Faktor, warum Lebensmittel preise in Österreich höher sind als etwa in Deutschland, werden die Verkaufsflächen gesehen. Österreich ist „Europameister“. Auf 100.000 Einwohner kommen hierzulande 60 Lebensmittelgeschäfte, in Deutschland sind es nur 40. Trotzdem könnte die immer wieder stark diskutierte hohe Marktmacht des sehr konzentrierten Lebensmittelhandels in den nächsten Jahren durch neue Marktbegleiter aufgeweicht werden. So spielt die chinesische Lebensmittelkette Ochama mit dem Gedanken, in Österreich zu investieren. Ochama setzt auf komplette Selbstbedienung bzw. Automatisierung und Diskontware. Lohnkosten dürften dabei ebenso eine geringe Rolle spielen wie heimische Lieferanten. Ochama vertreibt viele Eigenmarken.
Mit Innovation und Regionalität aus der Krise?
Eigenmarken steigern wiederum den Druck auf die heimischen Landwirte und Produzenten, die bei diesen knapp kalkulierten Margen nicht mithalten können. Dazu setzt ihnen der Klimawandel ebenso zu wie die Weltmarktpreise. Erstmals sank die Zahl der Landwirte 2023 auf unter 110.000. Große Lebensmittelketten könnten daher noch mehr Druck ausüben. Ein Schutzschild dagegen ist das vermehrte Setzen auf Innovationen und Regionalität. So sind heute „gerettete Lebensmittel“ ebenso in allen Regalen zu finden wie eine ganze Reihe von Fleischersatzprodukten, bei denen sich österreichische Startups gut etablieren konnten. Überhaupt soll sich laut Trendforschern in den nächsten Jahren das veränderte Kaufverhalten der jungen Generation in den Regalen bemerkbar machen. So sinkt bereits jetzt der Fleischkonsum, auch der Absatz von Alkohol könnte stagnieren. Damit wittert der Online-Lebensmittelhandel eine Chance. So poppen Webshops für „Carnificionados“, Menschen die wenig Fleisch, wenn dann aber hochwertigstes, kaufen, ebenso auf, wie kleine Kaffeeröstereien oder Händler für Fleischersatzprodukte bzw. Laborfleisch und -fisch aus dem 3D-Drucker. Auch wenn diese Trends sich in der breiten Masse wohl noch lange nicht durchsetzen werden, könnten kleinere Player den Markt beleben.
Von „Gierflation“ und „Shrinkflation“
Diese Trends werden keinen großen Druck auf die Handelsketten ausüben, doch auch diese verspüren Druck. Druck vonseiten der großen globalen Lieferanten. So drohten der Mars, Ferrero und CocaCola-Konzern mit einem Lieferstopp. Man wurde sich bezüglich der Margen nicht einig. Und noch ein Phänomen nahm in unsere Supermärkte Einzug: die „Shrinkflation“. Still und heimlich schrumpften die Abfüllmengen, um den Preis gleich zu halten. Das rief die Verbraucherschützer auf den Plan. Das Rad dreht sich somit im Kreis. Einen Schuldigen zu finden ist unmöglich. Die gesamte Wertschöpfungskette ist und bleibt wohl noch einige Zeit ordentlich angespannt. Doch es gibt einen Lichtblick: Österreicher kaufen im europäischen Vergleich patriotischer als andere. Es ist uns „nicht Wurscht“, woher die Wurst kommt. Ob sich dieses patriotische Kaufverhalten bei immer höherem Preisdruck aufrechterhalten lässt, bleibt allerdings offen.