"Ballast abräumen, Freiräume schaffen"
CHEFINFO: Bürokratieabbau wäre ein Wachstumsmotor für die Wirtschaft, sagen Ökonomen. Wie kann er gelingen?
Wilhelm Bergthaler: Man muss Freiräume für Unternehmen eröffnen, die derzeit durch eine Vielzahl von Vorschriften blockiert werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Kreislaufwirtschaft. Viele Firmen haben fantastische Ideen, wie sie ihre Produkte wieder zurücknehmen, in den Kreislauf führen und mit Kunden wiederaufbereiten. Für die Realisierung steht ihnen aber das Abfallrecht in schwierigster Weise im Wege. Dieser unglaubliche Papierkrieg mit Sonderbewilligungen ist bei zwischenbetrieblichem Recycling unnötig. Zum anderen gehört der Detaillierungsgrad unserer Genehmigungen deutlich zurückgenommen. Das ist kein Verlust an Umweltstandards, sondern ein Reduzieren der Dokumentationslast. Dasselbe gilt bei Nachhaltigkeitsberichten oder beim Lieferkettenrecht, deren Dokumentenwust nur noch von KI bearbeitet wird. Am Ende unterhalten sich zwei KIs darüber, ob Unternehmen die Menschenrechte einhalten. Das ist absurd und sind Mechanismen des bürokratischen Selbstbetrugs.
Hat irgendwer in Brüssel noch den Gesamtüberblick über all die Regularien der vergangenen Jahre?
Bergthaler: Ich glaube nicht, weil diese Abteilungen mitunter auch gegeneinander kämpfen, etwa Naturschutz gegen Wirtschaft. Man kann sich aber nicht auf Brüssel ausreden. Der Detaillierungsgrad von Unterlagen in einem Anlagengenehmigungsverfahren ist in Österreich deutlich höher als in Deutschland. Wir müssen auch bei den Bauordnungen oder im Naturschutzrecht nicht auf Brüssel warten. Andere in Europa sind schneller als wir. So sind die Benelux-Staaten sehr pragmatisch, was vertragliche Lösungen für erneuerbare Energie betrifft. Hier muss nicht immer alles mit Bescheid und Hoheitsverwaltung laufen.
Eine Aufgabe der nächsten Bundesregierung?
Bergthaler: Genau. Die Bundesregierung muss alles, was sie innerstaatlich an Ballast abräumen kann, abräumen. Zum anderen muss sie deutlich aktiver in Brüssel agieren – bei der Redimensionierung der Verpflichtungen oder um aktiv Freiräume zu schaffen. Dafür sind Allianzen mit anderen Mitgliedsstaaten wichtig, um das Durchsetzungspotenzial für Deals mit Brüssel zu heben.
Der ehemalige steirische Landesrat Herbert Paierl meinte kürzlich, es brauche einen Reset, um die Mehrzahl der Gesetze außer Kraft zu setzen.
Bergthaler: Die Aufhebung aller Gesetze braucht es gar nicht. Ein Reset-Gesetz, das unternehmerische Freiheiten auf Bundes- und Landesebene einräumt, selbst wenn irgendwo etwas anderes geregelt ist, reicht völlig. Damit bekommen Unternehmen sofort Freiräume und entgegenstehende Regelungen werden overruled und sind nicht anzuwenden. So ein Unternehmensfreiheitsgesetz wäre schnell umzusetzen und könnte bedarfsgerecht laufend erweitert werden, wenn Blockaden erkannt werden.
Wie kam es eigentlich zu dieser hohen Regulierungsdichte?
Bergthaler: Es kommt aus einem Sicherheitsdenken der öffentlichen Verwaltung und auch mancher Betriebe, um sich im Schadensfall abzusichern. Es ist ein übersteigertes Sicherheitsdenken und auch eine übersteigerte Gläubigkeit, mit hoheitlichen Mitteln Wirtschaftsströme beeinflussen zu können. Doch das kommt im globalen Wettbewerb immer einen Schritt zu spät. Sicherheitsdenken und die Regulierungshybris, zu glauben, wir verbessern die Welt mit einem Gesetz, führen zu dieser Übersteigerung. Am Ende landet man in Selbstblockaden und Selbstbetrug. Es ist Selbstbetrug zu glauben, mit zehn Zertifikaten in der Tasche sei der Regenwald in Brasilien vor Abholzung sicherer. Das verkennt völlig die Situation außerhalb des Verwaltungssystems der EU und das wird Ihnen jeder brasilianische Anwalt bestätigen. Man muss mehr Leine lassen und die unternehmerische Freiheit entdecken als Triebkraft in der Gesellschaft. Die derzeitige Einengung ist Gift für unsere familienbetriebliche Struktur. Daher ist der Reset erforderlich und es bedarf des Ausräumens – und des Einräumens – von Freiheiten.