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BMF Finanzpolizei
Finanzpolizisten haben steuerrechtliche Ausbildungen und sind u.a. Experten bei Ausländerbeschäftigung und im Lohn- und Sozialdumping.
Finanzpolizisten haben steuerrechtliche Ausbildungen und sind u.a. Experten bei Ausländerbeschäftigung und im Lohn- und Sozialdumping.
©BMF

Finanzpolizei: Jäger des verlorenen Steuergelds

04.10.2023 um 10:49, Jürgen Philipp
min read
Die Finanzpolizei ist die Hüterin des Wirtschaftsstandortes, deckt illegale Beschäftigung auf, bringt Scheinfirmen zur Strecke und sucht verschollenes Geld.

Stellen Sie sich vor, Sie kaufen einen Ferrari und bekommen als Draufgabe noch eine Steuergutschrift. Dazu müssten Sie aber so viel dreiste kriminelle Energie besitzen wie eine europaweite Bande, die vor Kurzem dingfest gemacht wurde. Über Scheinfirmen wurden Luxusautos zwischen Deutschland, Frankreich, Polen und Tschechien so hin- und hergeschoben, dass nicht nur keine Steuern bezahlt, sondern sogar Gutschriften ausgestellt wurden. Anmerkung am Rande: Alleine die Nova bei einem Lamborghini oder Ferrari in Österreich beträgt 50 Prozent. Die betrügerischen Luxusschlitten waren daher ein Schnäppchen. Europäischen Fahndern gelang es, die Bande zu fassen.

Bis zu 15 Mrd. Euro Schaden pro Jahr

Zwischen 12 und 15 Milliarden Euro gehen dem Staat jährlich durch Steuerbetrug und Abgabenhinterziehung durch die Lappen. Bei kaum einem Thema sind sich die Sozialpartner so einig wie bei der Bekämpfung von ­Steuer- und Abgabebetrug, denn sie schaden der Wettbewerbsfähigkeit und dem Sozialstaat. Die oberste Behörde, um diese Betrugsfälle aufzuklären, ist die Finanzpolizei, welche die Rolle als „Wirtschaftsaufsicht“, so der Leiter der österreichischen Finanzpolizei im BMF, Wilfried Lehner, einnimmt. Doch wie wird man eigentlich Finanzpolizist? „Die Ausbildung ist umfangreich. Die Leute kommen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen zu uns. Sie bekommen eine komplette Steuergrundausbildung, eine abgabenrechtliche Ausbildung, darüber hinaus eine Fachausbildung. Dazu kommen Spezialausbildungen – von Ausländerbeschäftigung, Lohn- und Sozial­dumping bis hin zur Abgabenexekution, on top“, erzählt Lehner. Die Ausbildung dauert in der Regel mehrere ­Jahre: „Aktuell versucht man, das zu verkürzen.“

BMF Entsorgung
Illegale Glücksspielautomaten werden von der Finanzpolizei aus dem Verkehr gezogen und „entsorgt“.

Mit Kripo-Methoden auf Betrügerjagd 

Das Aufgabenfeld erstreckt sich über „insbesondere alles, was mit Beschäftigung zu tun hat. Schwarzarbeit, illegale Ausländerbeschäftigung oder Arbeitskräfteüberlassung sind unser Kerngeschäft. Darüber hinaus auch Steueraufsicht, Registrierkasse, Arbeitsaufzeichnung, Lohnsteuer oder auch illegales Glückspiel. Wir sind auch zuständig für Abgabenexekutionsmaßnahmen und seit einigen Jahren auch für die Hereinbringung von Finanzstrafen. Wir versuchen, das Geld zu finden, und sind auch im gerichtlichen Bereich teilweise zuständig für die Sonderdelikte Sozialbetrug (etwa organisiertes Nichtzahlen von SV-Beiträgen) und sind dort, wie die Kripo, berechtigt, mit all den Möglichkeiten wie Telefonüberwachung, Hausdurchsuchungen und Co. zu suchen. Wir haben dabei eine sehr intensive Kooperation mit der Polizei auf allen möglichen Ebenen und eine enge Kooperation mit der Taskforce Sozialbetrug im BMI.“

Whistleblower als „Mitarbeiter“

Die Behörde hat einige wertvolle „Mitarbeiter“ außerhalb des Apparats, die als Tippgeber fungieren. „Es gibt Unternehmer, die den Verdacht äußern, dass der Mitbewerb betrügt. Manchmal kommen auch Mitarbeiter von selber. Dazu gibt es Whistleblower und Zufallsfunde.“ Ge­rade Mitarbeiter können sehr detaillierte Informationen geben. „In der Regel ist der Dienstnehmer selten der Straf­adressat.“ Strafen, die etwa bei betrügerischen Sozialleistungen mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht sind. „Es gibt leider sehr wenig Bewusstsein über diese Straftaten.“ Im Fokus steht die Bekämpfung der Schwarzarbeit. „Das, was man verharmlosend als Pfusch bezeichnet, sich also nach Dienstschluss etwas dazuzuverdienen, ist nicht das Problem. Das Problem sind die organisierten Firmen, dort wo systematisch Schwarzlohn ausbezahlt wird und Sozialbeiträge bewusst unterlaufen werden.“ Das führt zu massiven Schieflagen im Wirtschaftsge­füge. „Wir haben dann nur noch Netto­nehmer und keine Steuern bzw. Beiträge mehr. Ein Geringfügiger oder Teilzeitmitarbeiter bezahlt meist null Lohnsteuer, nur wenig SV-Beiträge, hat aber alle Annehmlichkeiten der Transferleistungen, und ein Teilzeitbeschäftigter ist voll versichert.“ Dazu kommen weitere Gründe, warum Dienstnehmer offiziell wenig verdienen wollen: „Etwa weil sie Unterhaltsleistungen entfliehen wollen oder sich in Privatkonkurs befinden und Exekutionen laufen. Das geht so weit, dass die Leute im Urlaub weiterarbeiten und sich den Urlaub auszahlen lassen.“ Es gibt sogar Krankenstandsgewinnler. „Offiziell ist die Person im Krankenstand, arbeitet aber weiter im Schwarzlohn. Wir konnten diese Varianten erst kürzlich im Rahmen einer Hausdurchsuchung durch die tatsächlichen Arbeitsaufzeichnungen belegen. Wir sehen dann auch, wie viele Barauszahlungen an die Personen ergehen, und wenn man das mit der SV-rechtlichen Vita vergleicht, sieht man die Abweichungen. Etwa dass jemand krankgemeldet war, aber plötzlich 2.500 Euro nebenbei ausbezahlt bekam.“

Scheinfirmen richten enorme Schäden an

Das passiert oft in großem Stil über Scheinfirmen: „Wenn Unternehmer Konstrukte mit mehreren Hundert Beschäftigten bilden, die geringfügig oder Teilzeit angestellt sind, muss er den Mitarbeitern Schwarzgeld auszahlen, und das muss er ja von irgendwoher haben. Wenn das Unternehmen nicht nur Privatpersonen als Kunden hat, kann es kein Schwarzgeld generieren.“ Es braucht dazu Scheinrechnungen von Scheinfirmen, um den Aufwand zu fingieren. „Damit hat es diese ,Betriebsausgaben‘ in der Buchhaltung. Es kauft fiktive Leistungen ein und hat damit Schwarzgeld, um seine Dienstnehmer auszuzahlen.“ Dann wird es komplex. „Wenn wir solche Dienstnehmer kontrollieren, sind sie angemeldet, zwar nur Teilzeit, doch ich müsste nachweisen, dass die Leute viel mehr arbeiten als an dem heutigen Tag. Deshalb muss die gesamte Buchhaltung des Unternehmens durchleuchtet werden, und das macht die Ermittlungen immer aufwendiger.“

BMF Glücksspiel
Die Finanzpolizei bekommt auch Tipps von Mitarbeitern bei Scheinfirmen, von Unternehmen, die einen Verdacht gegen den Mitbewerb hegen, und von Whistleblowern.

Täter gefunden, Geld verschollen

Konstrukte, die auch international angelegt sind, wie obiges Beispiel der Luxusautobande belegt. Das betrifft auch die illegale Beschäftigung. „Wir haben teilweise solche Konstrukte, wo Personen vermeintlich aus dem Ausland entsendet bzw. teilweise überlassen werden. Doch im Ausland sitzt nur ein Scheinunternehmen und dort zahlt niemand. Im gerichtlichen Bereich gibt es eine gute Rechtsdurchsetzung, problematisch wird es im verwaltungsbehördlichen Bereich.“ Das Geld ist aber meist schon weg und auf diversen Bankkonten verschollen. „Wir finden aber oft die Täter und können sie zur Verantwortung ziehen.“

Betrüger und Fahnder digitalisieren sich

Dass sich das ohnehin große Feld der Finanzpolizei künftig um einige weitere Agenden erweitern könnte, schließt Lehner nicht aus, etwa bei der ­Kontrolle von Lieferketten. Erst kürzlich ­wurde in ­Kanada der Verdacht erhoben, das Luxuslabel Ralph Lauren hätte uigurische Zwangsarbeiter in China eingesetzt. „Noch sind wir in solche Vorgänge nicht involviert. Es gibt derzeit keine Zuständigkeit für uns. Es kann aber sein, dass wir durch Zufall solche Sachverhalte entdecken. Wir entdecken alle möglichen Dinge, von katastrophalen Hygienezuständen, unbefugter Gewerbeausübung bis zu Gefährdungen am Arbeitsplatz usw. All das wird von uns in Richtung der anderen Behörden angezeigt.“ Auch die Digitalisierung und KI gehen an Fahndern und Steuerbetrügern nicht spurlos vorbei. „Es ist nur eine ­Frage der Zeit, bis KI möglicherweise automatisierte Antworten gibt auf Fragen, die wir stellen. Aktuell gibt es noch keine Evidenz von solchen Systemen in unseren Bereichen. Es könnte aber kommen, weil die Risikoanalyse bei uns stärker IT-getrieben wird, umgekehrt aber auch, dass das ,Unter-dem-Radar-Fliegen‘ auch von KI automatisiert werden könnte.“ Mit Luxusautos wird es jedenfalls bald immer schwerer, „unter dem Radar“ zu fliegen, wie kürzlich der Fall eines Serben gezeigt hat, der einen Lamborghini per Anhänger von der Schweiz nach Serbien bringen wollte, diesen aber nicht dem österreichischen Zoll gemeldet hat. Er hinterzog – ob willentlich oder unwissend –  35.000 Euro Zollgebühr und 79.000 Euro Einfuhrumsatzsteuer. Als Strafe droht eine Verdoppelung auf 228.000 Euro. Ein teurer Luxus.   

BMF Wilfried Lehner
Wilfried Lehner kann mit seiner Finanzpolizei auf eine hohe Trefferquote verweisen.

„Neue Scheinfirmen sind nur mehr Bankomaten“

Interview. Der Leiter der österreichischen Finanzpolizei, Wilfried Lehner, über Wettbewerbsverzerrung durch Betrug, neue Formen von Scheinfirmen und die hohe Trefferquote seiner Behörde. 

CHEFINFO: Was sind die häufigsten Delikte, mit denen die Finanzpolizei konfrontiert ist? 
Wilfried Lehner: Stark steigend ist die illegale Ausländerbeschäftigung. Es gibt immer mehr Drittstaatenangehörige, die teilweise weder Aufenthaltsgenehmigung noch eine Beschäftigungsbewilligung haben. Mehr und mehr zum Problem werden auch Schein-Geringfügige. Das bietet „das beste beider Welten“: Man bekommt Arbeitslosenentgelt plus Sozialtransfers und den Verdienst aus der Schwarzarbeit. Das ist besonders schädlich, nicht nur für den Sozialstaat, sondern auch für die Wirtschaft, weil es eine extreme Wettbewerbsverzerrung darstellt. Die Sozialtransfers werden in den Lohn reingerechnet. Selbst wenn sie oftmals nur sechs bis sieben Euro pro Stunde schwarz erhalten, mit den Sozialtransfers rechnet sich das für die Betroffenen. Für legale Unternehmer ist das eine Katastrophe, weil sie bei diesen Preisen nicht mitkönnen. 

Wie „naiv“ bzw. „clever“ sind die Betrüger?
Lehner:
Es gibt kreative, geschickte und gut organisierte Betrüger mit teilweise unzähligen Scheinunternehmenskonstrukten. Das ist wie ein Spinnennetz. Auf der anderen Seite gibt es oft triviale Dinge, etwa Schwarzgeld zu produzieren, indem sie es auf irgendwelchen Konten zwischenbuchen. Zum Beispiel wird Geld auf das Kassa­konto gebucht, tatsächlich aber bereits als Schwarzlohn ausbezahlt. Doch es gibt auch organisierte Schwarzarbeit im großen Stil. Dabei werden SV-Beiträge und Steuern hinterzogen. Das ist der große Fokus, den wir haben, und er richtet den größten Schaden an. 

Die Scheinfirmen neuer Prägung sind nur mehr Bankomaten. Sie dienen dazu, Geld zu waschen.

Wilfried Lehner, Leiter Finanzpolizei

Gibt es Trends, sprich Delikte, die im Laufe der Zeit verloren gingen und durch andere ersetzt wurden?
Lehner: Die alte Konstruktion des Schein­unternehmers ist ausgestorben. Früher hat man ein Unternehmen gegründet und auf der leeren Hülle einige Hunderte Mitarbeiter angemeldet. Sie haben am Anfang noch Teile der SV-Beiträge bezahlt und dann nicht mehr. Es blieben SV-Beträge offen, aber niemand war auffindbar. Die Exekution verlief ins Leere. Solche Konstruk­tionen gibt es heute nicht mehr. Die neue Konstruktion schaut so aus, dass Teilzeitbeschäftigte oder sogar Vollzeitdienstnehmer tätig sind, die aber nur als geringfügig Beschäftigte angemeldet sind. Der wirkliche Stundenlohn wird mit Schwarzgeldzahlungen ausgeglichen, und das hole ich mir mit Scheinrechnungen und Kick-back-Zahlungen von anderen Scheinfirmen. Die Scheinfirmen neuer Prägung sind nur mehr Bankomaten. Sie dienen dazu, Geld zu waschen.

Wie sollten sich Unternehmer verhalten, wenn die Finanzbehörden vor der Türe stehen?
Lehner:
Alle, die legal unterwegs sind, sind gut beraten, eine kooperative Situation herzustellen, sprich Akteneinsicht und Einsicht in Unterlagen zu ermöglichen. Das entschärft von vorneherein die Situation und macht klar, dass man mit der Kontrollbehörde kooperiert. Niemand ist daran interessiert, etwas eskalieren zu lassen. Unsere Leute sind auf Deeskala­tion geschult. Sie wollen eine konfliktfreie Kontrollsituation. Es ist sicher gescheit, von Vornherein zu überlegen, wo könnte eine solche Kontrollsituation eintreten; meist geht es um Beschäftigte oder die Registrierkasse. Wenn eine Kontrolle stattfindet, sollte eine Infokette in Gang gesetzt werden. Die Mitarbeiter sollten wissen, wen sie verständigen sollen, notwendige Unterlagen griffbereit und den Dienstnehmern auch bekannt sein. Derartige Dinge kann man gut vorbereiten und damit kann man die Kontrollen deutlich beschleunigen. Unsere Mitarbeiter haben ein gewisses Gespür entwickelt, wo ein Problem lauern könnte. Gleichzeitig sind unsere Leute auch darauf geschult, dass wir – auch bei einer hohen Trefferquote – unvoreingenommen an die Dinge herangehen. Unvoreingenommenheit ist eine der Kernaufgaben der Ermittler.