Finanzplatz Schweiz als Inspirationsquelle
Der Züricher Flughafen kommt mir immer größer vor als der Wiener. Mit diesen Worten begrüßte der Außenwirtschaftsdelegierte der WKO, Patrick Sagmeister, Anfang September eine Gesandtschaft des österreichischen Banken- und Versicherungssektors in Zürich. Dabei sind zumindest die Passagierzahlen zum Verwechseln ähnlich. 31,7 Millionen Fluggäste begrüßte man vergangenes Jahr in Wien, 31,5 Millionen in Zürich. Dass Österreich und die Schweiz darüber hinaus viele Gemeinsamkeiten haben, ist unbestreitbar. Nicht nur die Alpen teilen wir uns, auch in Sachen Neutralität sind wir d’accord. Die Österreicher sind jedoch bedeutend gastfreund-licher. 151,17 Millionen Übernachtungen gab es 2023 hierzulande, in der Schweiz waren es lediglich 41,8 Millionen. Dafür zahlen unsere westlichen Nachbarn weniger Steuern. Auf 43,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belief sich laut Statistik Austria die durchschnittliche Steuer-quote vergangenes Jahr in Österreich. In der Schweiz waren es dagegen gerade einmal 27,6 Prozent. Kein Wunder, dass die Confoederatio Helvetica so viele Superreiche anzieht. 2021 war laut Credit Suisse jeder sechste erwachsene Schweizer Dollarmillionär. In Österreich ist es lediglich einer von 27, so Agenda Austria. Und das, obwohl es in der Schweiz eine – zugegebenermaßen geringe – -Vermögenssteuer gibt. Doch zurück zu der Wirtschaftsdelegation. Dass sich Spitzenvertreter des Finanzsektors Inspirationen von unseren Nachbarn holen, überrascht wohl niemanden. Denn der Anteil der Finanzwirtschaft am Schweizer BIP lag 2022 bei 9,3 Prozent, in Österreich waren es damals lediglich 4,2 Prozent. Doch in der traditionsbetonten Schweiz befindet sich vieles im Umbruch und so kann man auch vieles von unserem Nachbarland lernen.
Digitalisierung des Alltags
Die Digitalisierung ist im Bankensektor auch in Österreich weit fortgeschritten, doch die Schweizer hoben den bargeldlosen Verkehr auf ein neues Level. Stichwort ist eine revolutionäre Bezahl-App namens Twint. Das gesamte tägliche Leben der Schweizer wird von der 2016 gegründeten App durchzogen. Parkgebühren, Ein-käufe in Selbstbedienungsläden, Onlineshopping und vieles mehr. Twint begeistert auch die Jugend. So verschwimmen die Grenzen -zwischen Bezahl-App und So-cial Media, wenn beispielsweise Fotos und Kurzvideos an Überweisungen angehängt werden. CMO Jens Platz erzählt von Eltern, die ausschließlich auf diesem Weg mit ihren rebellierenden Jugendlichen kommunizieren können. „Digitalisierung des Alltags“ ist das Stichwort. Twint hat in ihrem achtjährigen Höhenflug die Schweizer Finanzwelt erobert. Österreichische Lösungen, wie das fünf Jahre ältere Innsbrucker Unternehmen Bluecode, haben im Vergleich Schwierigkeiten, richtig abzuheben. Über fünf Millionen Nutzer verwenden Twint. Das Besondere: Führende Schweizer Banken adaptierten Twint und integrierten es in ihre eigenen Systeme. Diese Zusammenarbeit zwischen Banken im Bereich des Fintech hebt Stefanie Huber, Generaldirektorin der Sparkasse, besonders positiv hervor: „Die Schweiz steht für Kooperationen mit Fintechs, um gemeinsam das Kundenerlebnis besser zu machen und nicht als Konkurrenz aufzutreten.“ Für WKOÖ-Spartenobfrau Bank und Versicherung Michaela Keplinger-Mitterlehner war das Timing von Twint entscheidend: „So richtig ins Laufen gekommen ist Twint 2017 und richtig abgehoben haben sie mit der Pandemie“, so die RLB-OÖ-Generaldirektorstellvertreterin, „damals hat in Österreich jede Bank schon viel in die eigenen Apps investiert.“ Dass die Österreicher weniger technologieoffen wären, lässt sie nicht gelten. Mehr als 90 Prozent der Zahlungen erfolgen in Österreich bereits mit Nearfield, also durch das Vorhalten der Karte oder des Handys auf einen Sensor, erklärt sie.
Eine Delegation der WKOÖ-Sparte Bank und Versicherung reiste im September in die Schweiz. Unter anderem dabei waren Direktor--Stellvertreter Friedrich Dallamaßl, Obfrau-Stellvertreterin Kathrin Kühtreiber-Leitner, Obfrau Michaela Keplinger-Mitterlehner, Obfrau-Stellvertreterin Stefanie Huber und Außenwirtschaftsdelegierter Patrick Sagmeister.
Digitale Geiselnahme
Während die Finanzbranche immer digitalisierter wird, ziehen auch die Kriminellen nach. Ransomware heißt die Technologie, die für Tunicht-gute ein neues Geschäftsfeld eröffnete. Dabei werden Viren auf die Netzwerke ihrer Opfer geschleust, wo sie Daten verschlüsseln. Anschließend flattert die Lösegeldforderung herein. Die Betreiber dieser Viren agieren mittlerweile hochprofessionell, schicken häufig sogar Belege, die bezeugen sollen, dass in der Vergangenheit die Daten nach erfolgter Lösegeldzahlung tatsächlich freigegeben wurden. „Es mag paradox sein, aber diese kriminellen Unternehmungen sind sehr auf ihre Reputa-tion bedacht“, erklärt Lukas Engel, Experte für Cyberversicherungen bei Zurich Versicherungen. In der Schweiz verkaufen sich die Versicherungen wie von selbst, erzählt er. Muss auf die Lösegeldforderung eingegangen werden, beschränkt sich Zurich auf die Hälfte der Versicherungssumme. So wolle man die Anreize für die Internetkriminellen verkleinern. Kathrin Kühtreiber-Leitner, Vorstandsdirektorin der Oberösterreichischen Versicherung, zeigt sich positiv überrascht, wie stark verankert Cybersecurity bereits in den Köpfen der Schweizer Unternehmer ist: „So weit sind wir noch nicht. Das muss man einfach sagen“, gibt sie zu, „klassische KMUs, die genauso gefährdet sind wie die Großen, haben oft noch keine Cyberversicherungen. Da sind wir derzeit in der Bewusstseinsbildungsphase.“
Mehr Unfälle, teure Reparatur
Während die Cyberversicherungen in der Schweiz weggehen wie warme Semmeln, lassen die Kfz-Versicherungen zu wünschen übrig. Urs Lüthy, Head of Commercial Insurance Switzerland bei Zurich Versicherung, berichtet von hohen Unfallzahlen trotz Unterstützungssystemen. Schuld sei die steigende Verkehrsfrequenz bei gleichbleibender Straßeninfrastruktur. Darüber hinaus wachsen die Reparaturkosten. „Es gibt eine massive Inflation auf Ersatzteilpreise“, erzählt er, „das durchschnittliche Ersatzteil ist teilweise doppelt bis dreimal so teuer als vor fünf bis sechs Jahren.“ Eine von Zurich angestrebte Lösung ist das sogenannte „Routing“. Versicherungskunden fahren mit ihren Wägen zu sogenannten „Help Points“ der Zurich Versicherung. Diese managt die Reparatur eigenständig und kann so bessere Konditionen erzielen. Von Preisunterschieden zwischen den Werkstätten im zweistelligen Prozentbereich spricht Lüthy. Jedoch muss auch er eingestehen, dass dieses Konzept bisher noch nicht den erhofften Erfolg hat. Auch bei der OÖ Versicherung hat man in der Vergangenheit das Routing erprobt. „In der Praxis ist es schwierig, den Kunden vorzuschreiben, in welche Werkstatt sie ihr Auto bringen sollen.“ Wenn die Preisunterschiede noch weiter steigen, hofft Lüthy aber darauf, dass es beim Kundenverhalten zu einer Umstellung kommt.
Integration der Superlative
Umstellen müssen sich auch viele Credit-Suisse-Kunden. Nach einer Serie von Skandalen geriet die Großbank zusehends ins Straucheln. Im Frühjahr 2023 endete die 167-jährige Geschichte der Credit Suisse schließlich. Konkurrentin UBS gab damals bekannt, das Kreditinstitut zu übernehmen. Nun befindet man sich in einem Integrationsprozess der Superlative. Seit der Übernahme ist die Zahl der Mitarbeiter bereits um 15.000 auf 112.000 gesunken. Bis Ende 2026 will die UBS außerdem im Vergleich zum Geschäftsjahr 2022 rund 13 Milliarden Dollar einsparen. Allein im dritten Quartal dieses Jahres erwartet die UBS Kosten von über einer Milliarde Dollar – verursacht durch die Integration. Nichtsdestotrotz hat die UBS bereits 2023 den Vertrag über die Verlustübernahmegarantie des Bundes beendet. Damit tragen Bund und Steuerzahlende aus den gewährten Garantien auch keinerlei Risiken mehr. Doch Kritik an der UBS kommt dennoch auf. -Viele fragen sich, ist die Schweiz ein zu kleines Land für den Bankmoloch? Die Bilanzsumme von UBS ist immerhin eineinhalbmal so hoch wie das Schweizer Bruttoinlandsprodukt. Sollte nach der Credit Suisse auch die UBS ins Wanken geraten, würde die ganze Schweiz erbeben. UBS-Präsident Colm Kelleher be-tonte in einer Rede im April, die UBS sei „eine der am besten kapitalisierten Banken in Europa“. Konzernchef Sergio -Ermotti erklärte sogar, dass die Über-nahme der Credit Suisse die UBS-Strategie gestärkt habe und dazu beiträgt, die Bank zu einem „sichereren Pfeiler des Schweizer Finanzplatzes“ zu machen. Keplinger-Mitterlehner zeigt sich beeindruckt von der Inte-gration der Credit Suisse in die UBS: „Die Übernahme der Credit Suisse, ohne die Schweizer Volkswirtschaft zu belasten, zeigt die Wichtigkeit starker, gut kapitalisierter Banken.“
Zehn-Millionen-Schweiz
Bei all den unvorstellbar hohen Beträgen, die bei der Credit-Suisse-Übernahme im Raum stehen, wirken zehn Millionen fast lächerlich klein. Doch das ist eine Zahl, die vielen Schweizern den Schweiß auf die Stirn treibt. Mehrmals nahmen hohe Bankenmanager auf der Reise einen Begriff in den Mund: die Zehn-Millionen-Schweiz. Gemeint ist dabei die Einwohnerzahl. Derzeit kratzt das Land noch an den neun Millionen, doch die Schweiz hat eine hohe Zuwanderung. Und während hierzulande die FPÖ mit dem Migrationsthema stärkste Kraft im Nationalrat wurde, wird der Zuzug auch bei unseren Nachbarn populistisch ausgeschlachtet. Eine Volksinitiative der Schweizerischen Volkspartei gegen Einwanderung hat im Mai über 100.000 Stimmen erhalten und wird vermutlich in zwei Jahren zur Abstimmung kommen. Ziel der Initia-tive ist es, das Knacken der Zehn-Millionen-Einwohner-Marke bis zum Jahr 2050 zu verhindern. Im äußersten Fall soll laut Initiative auch das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU gekündigt werden. Dabei hat die Schweiz mit einer Arbeitslosenrate von 2,4 Prozent praktisch Vollbeschäftigung. Das Wachstum der letzten Jahre wäre ohne die Zuwanderung undenkbar. Dass Migration mit Herausforderungen einhergeht, ist klar, doch zahlreiche Sektoren wie die Pflege und der Bau waren und sind auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Und so entsteht am Ende der Reise nach Zürich eine Erkenntnis: In vielen Bereichen kann sich Österreich die Schweiz zum Vorbild nehmen, doch bei manchen Themen teilen wir anscheinend dieselben Sorgen und Ängste.