Doris Hummer: "Es braucht einen Paradigmenwechsel"
CHEFINFO: Gibt es ein Rezept, wie man seitens des Bildungswesens eventuell künftige Mangelberufe bereits im Vorfeld abfedern kann?
Doris Hummer: Oft fehlt Jugendlichen die Vorstellungskraft, welche Tätigkeiten bestimmte Berufe umfassen, bzw. leiden Lehrberufe unter einem fehlerhaften Image. Die Berufsorientierung ist ein wichtiger Punkt und die WKOÖ hilft den Jugendlichen mit zahlreichen Angeboten, etwa bei Potenzialanalysen, Berufsinfomessen etc., bei der wichtigsten Entscheidung in ihrem Leben.
Die aktuelle Debatte um Arbeitsmigration wird von der Asyldebatte durchkreuzt. Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, diese beiden Felder klar zu trennen und so den Weg zu einer gezielten Arbeitsmigration zu ebnen?
Hummer: Da nicht nur Fachkräfte, sondern auch Arbeitskräfte fehlen, braucht unsere Wirtschaft dringender denn je arbeitswillige und arbeitsfähige Menschen. Personen mit Asylhintergrund sind bereits in Österreich und stellen eine genauso wertvolle Potenzialgruppe dar wie qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Das Thema Arbeitsmigration sollte zukünftig von der Asyldebatte getrennt werden – es braucht einen Paradigmenwechsel in Richtung qualifizierte Zuwanderung.
Wird künftig ein attraktiver Standort auch daran gemessen, wie sehr er für Arbeitsmigration attraktiv ist, und wo würden Sie Österreich im internationalen Vergleich sehen?
Hummer: Andere Länder, egal ob in der EU oder in Drittstaaten, kämpfen ebenso mit fehlenden Arbeits- und Fachkräften und haben in den letzten Jahren stark in eine zielgerichtete Standortpolitik sowie in die Optimierung der erforderlichen Rahmenbedingungen investiert. Hier dürfen wir nicht nachlassen, sondern müssen unsere Kräfte bündeln und – gemeinsam mit den Systempartnern – in eine bedarfsgerechte, zuwanderungsfreundliche Standortpolitik investieren. Dazu gehört aber auch eine Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung. Nur so können wir langfristig gemeinsam unser Sozialsystem und letztlich unseren Lebensstandard sichern.
Viele Unternehmen, die international Personal suchen, kritisieren die Rot-Weiß-Rot-Karte als zu unflexibel und unattraktiv. Was müsste aus Ihrer Sicht verbessert werden?
Hummer: Wenngleich die Reform zur Rot-Weiß-Rot-Karte im Oktober 2022 durch zahlreiche Erleichterungen bei den Zugangsvoraussetzungen einen spürbaren Anstieg an bewilligten Anträgen bewirkt hat, ist immer noch Luft nach oben. Ungeachtet der weiteren geplanten Lockerung im Bereich der Sprachkenntnisse (Französisch, Spanisch, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sollen künftig im Punktesystem der Rot-Weiß-Rot-Karte berücksichtigt werden) fordern wir weitere Lockerungen, wie etwa die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Zuwanderung von volljährigen Jugendlichen, die bei uns eine Lehre machen wollen.