Cinematic Rendering: Großes Kino im Hörsaal
Welcher Universitätslehrer kann schon von sich behaupten, sein wichtigstes Werkzeug bei Vorlesungen sei ein Game-Controller? Mit dem Steuergerät einer X-Box-Spielkonsole lotst Professor Fellner Studierende durch den menschlichen Körper. Der Dekan der Medizinischen Fakultät der JKU und Vorstand des Zentralen Radiologie Instituts am Kepler Universitätsklinikum ist in seinem Element. 3D-Brillen schaffen eine Art Kinoerlebnis im Studienbetrieb. Fellner steht im neuen medSPACE, der als Attraktion im Linzer Wissenschaftsbetrieb gilt und weltweit Beachtung findet. Hautoberfläche, Muskeln, Blutgefäße, Organe, Knochen: Die fotorealistischen, dreidimensionalen Bilder werden per Cinematic Rendering aus MRT- und CT-Scans echter Patienten berechnet und überlebensgroß dargestellt. Die Visualisierungen sind beliebig drehbar und bis zum kleinsten Gefäß in einer Gehirnregion stufenlos zoombar. Sie erlauben Studierenden einen völlig neuen Blick auf den menschlichen Körper. Liveschaltungen in OP-Säle machen den medSPACE der JKU zur Bühne und einem Labor der Zukunft zugleich. Dank der digitalen Vernetzung können auch Experten aus aller Welt live bei schwierigen Eingriffen zugeschaltet werden. All das ist das Ergebnis eines innovativen Gemeinschaftsprojekts: Initiiert wurde es von Franz Fellner, der auch den neu geschaffenen Lehrstuhl für Virtuelle Morphologie seit November innehat. Die Expertise kam vom Ars Electronica Futurelab in Zusammenarbeit mit Siemens Healthineers.
Medical Metaverse: Der perfekte digitale Zwilling
„Die Technologie des Cinematic Renderings, die Professor Fellner gemeinsam mit dem Ars Electronica Futurelab und Siemens entwickelt hat, ist Cutting Edge und die Zukunft der medizinischen Lehre“, ist Meinhard Lukas, Rektor der Johannes Kepler Universität, überzeugt. Er vergleicht die Entwicklung mit dem Metaversum, diesem digitalen Raum, in dem Menschen als Avatare in einer virtuellen Realität miteinander interagieren können. Für Lukas ist dieses in Linz erschaffene Medical Metaverse aber viel mehr: Es bietet einen ganz konkreten Nutzen im Wechsel zwischen realer und virtueller Welt. „Wir switchen von der virtuellen Welt der perfekten Bilder eines echten Patienten, die Franz Fellner und andere erschaffen haben, in die ganz reale Welt des menschlichen Herzens, das während der OP durch die Herz-Lungen-Maschine ersetzt wird. In der Industrie sprechen wir viel vom digitalen Zwilling. In Wahrheit ist das Cinematic Rendering der virtuellen Anatomie der perfekte digitale Zwilling“, sagt Lukas. Es sei auch der Ausdruck eines ganz wichtigen Prinzips an der JKU, nämlich die forschungsgeleitete Lehre. „Wenn Studierende erkennen, was an ihrer Wirkungsstätte an Forschung passiert, dass sie quasi mitten in den Forschungslaboren stehen, so ist das ein enormer Motivationsschub für junge Menschen in einem sehr anspruchsvollen Studium“, so Lukas.
Sprung in den digitalen Aggregatzustand
Die Bedeutung dieser Technologie für den Standort könne man gar nicht hoch genug einschätzen, „weil ein kleines Land wie Österreich den Sprung in diesen digitalen Aggregatzustand wirklich geschafft hat“, sagt Lukas. Gerade in der Medizin sei die digitale Transformation ein riesiges Thema, etwa in der Pflege – Stichwort Robotik –, aber auch in anderen Bereichen. Besonders faszinierend findet Lukas, dass aus Bildern von herkömmlicher Computertomografie und anderen bildgebenden Technologien die Möglichkeit besteht, den individuellen Menschen mit seinen individuellen Erkrankungen in 3D sichtbar zu machen. Genau diese Bilder sind dann wiederum für Spezialisten der Neurochirurgie die Basis, um punktgenau im Nanomillimeterbereich zu arbeiten. „Ich glaube, bei den Einsatzmöglichkeiten stecken wir noch in den Kinderschuhen, das geht bis hin zu Patientengesprächen. Das ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Diagnose, aber auch bei Therapieansätzen.“ Für den Standort Linz sei das enorm wichtig, bei einer solchen Technologie vorne dabei zu sein. „Wir werden in Österreich und Europa nie die Pioniere gesamter KI-Strategien sein, da sind wir nicht konkurrenzfähig, obwohl wir in Linz zu den Besten gehören auf diesem Gebiet. Aber bei den Anwendungen digitaler Technologien – egal ob in der Medizin oder in der Industrie – können wir Spitzenleistungen erbringen und wirkliche Pioniere sein.“
"Die Studenten finden das wirklich klasse"
MEDIZIN. Franz Fellner, Dekan für Lehre und Studierende der Medizinischen Fakultät sowie Leiter des Zentralen Radiologie Instituts am Linzer Kepler Klinikum, über die revolutionäre Art des Unterrichtens im medSPACE.
CHEFINFO: Herr Professor Fellner, gibt es etwas Ähnliches an anderen Unis wie den medSPACE der JKU?
Franz Fellner: Wir haben mit dem medSPACE immer noch eine weltweite Alleinstellung. Der Auftrag der Politik lautete von Anfang an, ohne eigene Leichenanatomie auskommen zu müssen und stattdessen eine virtuelle Anatomie einzuführen. Das löste jede Menge Kopfzerbrechen aus. Zu Hilfe kam uns der Zufall. Als ich bemerkt habe, dass ein gewisser Klaus Engel an der Princeton University mit Siemens eine neue Form des 3D-Renderings entwickelt hat – das Cinematic Rendering –, habe ich gesagt: Genau das ist es! Engel hatte damals nicht daran gedacht, seine Erfindung für die Anatomie zu verwenden, sondern als Routine-Medizinsoftware einzusetzen. Ich bat in Folge, das Programm im Deep Space des AEC einzuspielen, weil das vielleicht der Hit fürs Medizinstudium an der JKU werden kann. Das wurde 2015 gemacht. Es ist von Anfang an gut gelaufen und wurde sukzessive weiterentwickelt.
Verbessert diese neue Art der Präsentation die Qualität der Lehre und macht es die Medizinische Fakultät für Studierende attraktiver?
Fellner: Das ist mit Sicherheit so. Ich führe regelmäßig Evaluationen durch, wie diese neue Form des Unterrichts bei den Studierenden ankommt. Dabei stelle ich verschiedene Fragen – von der Qualität bis zum ganz persönlichen Nutzen. Diese anonymisierten Umfragen schneiden hervorragend ab. Die Studenten finden das wirklich klasse. Ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass die Teilnehmer in den Vorlesungen gegen Ende nicht weniger, sondern mehr werden.
Können Sie ein Beispiel aus der Praxis bringen?
Fellner: Bei Vorlesungen dieser Woche war die Wirbelsäule am Programm. Ich zeigte den Studierenden im medSPACE Computertomografie-Bilder einer kompletten Wirbelsäule eines Patienten, der aus neun Metern Höhe gestürzt ist. Die Person hat sich zahlreiche Wirbel gebrochen, unter anderem zwei, die therapienotwendig sind. Ich stellte die Fragen, was sich der Patient jetzt alles gebrochen habe und was therapiert werden müsse. Danach ist mir die volle Aufmerksamkeit sicher, jeder beginnt konzentriert zu suchen. Weil ich etwas Krankhaftes zeige, gewinne ich auch jene Studenten, die ich mit der schönsten Präsentation nicht begeistern kann.
Kann man einen Blick in die Zukunft wagen?
Fellner: Ich denke, dass die Bedeutung von KI nicht nur im Bereich der Diagnostik wächst, sondern beim Drug-Design, also der Entwicklung von Medikamenten. In diesem Bereich wird bereits intensiv geforscht. Auch bei der Auswertung der eigenen genetischen Hinweise auf mögliche Krankheitsrisiken im Alter steckt viel Potenzial. Und wenn es darum geht, universitäre Forschergruppen zu vernetzen und zu steuern, wird KI bei den Optimierungen der Abläufe eine entscheidende Rolle spielen.