Bauwirtschaft - Gewinne mit grünen Strategien
Der Bau des Europäischen Patentamts in Wien soll Maßstäbe setzen. Nicht aufgrund der schwindelerregenden Höhe oder der außergewöhnlichen Architektur, sondern wegen seiner „inneren Werte“. Das Sanierungsprojekt gilt als Best-Practice-Beispiel für Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft. Auch energietechnisch spielt das klimapositive Gebäude, dessen Fertigstellung Ende des Jahres geplant ist, alle Stückerl. Bis auf das alte Betongerippe wurde der vierstöckige Bürokomplex aus den 1970er-Jahren entkernt – ein Vorgang, der rund 50 Prozent weniger klimaschädliche Emissionen an Kohlendioxid (CO2) gegenüber einem Neubau bedeutet. Die angefallenen Baurestmassen wurden nach dem Urban-Mining-Prinzip aufbereitet und wiederverwendet. Der Recyclinganteil liegt beim Patentamt-Projekt jenseits der 25 Prozent, die für eine grüne Gebäude-Zertifizierung notwendig sind. Zum Einsatz kommt auch CO2-reduzierter Beton. Dieses „intelligente Bauen“ sei die Zukunft für dekarbonisierte Städte, sagten Karl-Heinz Strauss, CEO des Baukonzerns Porr, und Berthold Kren, Geschäftsführer von Holcim Central Europe, am diesjährigen Austrian World Summit in Wien.
Der Veränderungsdruck steigt
Dass die börsennotierte Porr AG und der weltgrößte Zementhersteller Holcim die Weltbühne Arnold Schwarzeneggers am Wiener „Klimagipfel“ für sich nützen, ist kein Zufall. Der Bausektor ist für insgesamt 37 Prozent der Treibhausemissionen verantwortlich, ein Viertel davon fällt in der Bauphase an. Allein die Zementproduktion verursacht etwa 8 Prozent der globalen CO2-Emissionen und zählt damit zu den größten Verursachern von Treibhausgasen in der Industrie. Öffentlichkeitswirksam haben im Vorjahr vier indonesische Fischer mit tatkräftiger Hilfe von NGOs gegen Holcim eine Schadensersatzklage im Kanton Zug eingebracht, weil sie befürchten, dass ihre Insel infolge des Klimawandels und steigenden Meeresspiegels überflutet werden könnte. Veränderungsdruck kommt auch von Gesetzgebern und Shareholdern – Stichwort EU-Taxonomie. Sie ist ein zentrales Element des Green Deal der Europäischen Union für eine nachhaltige Finanzierung. Investoren helfen zu beurteilen, ob Gelder zu politischen Zielen und Verpflichtungen wie dem Pariser Abkommen zum Klimawandel beitragen und gleichzeitig bestimmte Umwelt- und Sozialstandards (ESG) einhalten. „Kein börsennotiertes Unternehmen und kein Unternehmen, das heute in der Auslage sitzt, kann es sich leisten, nicht nachhaltig zu sein“, sagt Karl-Heinz Strauss. Der zweitgrößte Baukonzern Österreichs betreibt seit Jahren eine Recyclingstrategie und ist mit dem ESG-Prime-Rating das nachhaltigste Bauunternehmen in seinen wichtigsten Märkten, betont der Spitzenmanager. In Europa gebe es neben der Porr AG nur zwei französische und ein spanisches Bauunternehmen, die in derselben Rating-Klasse spielen.
Gutes Image, volle Auftragsbücher
Entgegen der allgemeinen Baukonjunktur verbreitet die Porr Group, für die der Wohnbau nur eine untergeordnete Rolle spielt, gute Stimmung bei den Aktionären. Im Geschäftsjahr 2023 konnte der an der Wiener Börse gelistete Konzern beim Gewinn um 15 Prozent auf 95 Millionen Euro zulegen. Die Auftragsbücher sind mit 8,5 Milliarden Euro (+3 %) gut gefüllt. Auch beim ersten Quartalsergebnis übertraf der Vorsteuergewinn die Erwartungen. Beim Gewinn je Aktie erwarten Analysten 2,57 Euro für 2024, sowie 3,05 bzw. 3,23 Euro für die beiden Folgejahre. Zu Redaktionsschluss notierten die Porr-Titel bei 14,3 Euro, als Kursziel wurde von der Privatbank Warburg 27 Euro und die Empfehlung „Buy“ ausgegeben. Positive Impulse liefern inzwischen die grüne Transformation und die Energiewende. Projekte wie das Europäische Patentamt seien zwar „im knappen zweistelligen Bereich“ teurer als Standardbauten, aber Qualität und Nachhaltigkeit werden insbesondere bei öffentlichen Auftraggebern und börsennotierten Bauherren immer wichtiger. Als Beispiel nennt Strauss den DAX-Konzern Siemens Healthineers, für den Porr in Forchheim bei Nürnberg neue Lager-, Forschungs- und Produktionsgebäude errichtet: „Wir haben den Auftrag nicht gewonnen, weil wir der Billigste waren, sondern weil wir dem Kunden eine Platin- statt einer Goldzertifizierung der Gebäude garantieren konnten. Der Preis spielt dann nicht mehr die alles entscheidende Rolle, wenn es um Nachhaltigkeit im Reporting geht.“
Profite mit Ökobeton
Auch bei Holcim treibt die Dekarbonisierung den Geschäftserfolg in Europa an. 30 Prozent des Umsatzes werden konzernweit mit kohlenstoffarmen Zement- und Betonprodukten erwirtschaftet und man erziele damit gute Preise. In Österreich entspricht rund die Hälfte des verkauften Zements den Kriterien der EU-Taxonomie. „Das Thema Klima steht im Mittelpunkt unserer Wachstumsstrategie, die darauf abzielt, den gesamten Baubereich zu entkarbonisieren“, sagt Nollaig Forrest, die die Funktion des Chief Sustainability Officers bei dem Schweizer Baustoffkonzern innehat. Derzeit habe man zahlreiche Projekte im Portfolio, die einen kohlenstofffreien Zement bis 2030 zum Ziel haben. „Da sind wir auf gutem Weg. Insgesamt liegt die Kreislaufwirtschaftsrate in Österreich für die Zementindustrie bereits über 50 Prozent. Bei Holcim schaffen wir bei einzelnen Zementen eine Recyclingrate von mehr als 70 Prozent“, sagt Holcim-Chef Berthold Kren. Holcim hat im Geschäftsjahr 2023 seinen Umsatz um 6 Prozent auf 27 Milliarden Franken (27,9 Mrd. Euro) erhöht. Der Reingewinn beträgt 3,1 Milliarden Franken, der Aktienkurs legte im Vorjahr um 38 Prozent zu. Sein Nordamerika-Geschäft plant Holcim per Abspaltung an die Börse in New York zu bringen, um am wichtigsten Kapitalmarkt der Welt präsent zu sein und finanzkräftige US-Investoren auf sich aufmerksam zu machen. Die Bewertung soll sich bei 30 Milliarden US-Dollar bewegen.
„Panische Angst“ vor Greenwashing
Rund 80 Prozent der großen Konzerne in Europa veröffentlichen Umweltberichte, ein Drittel der heimischen Betriebe erwirtschaftet jeden vierten Euro bereits mit emissionsarmen Produkten. „Klimaneutralität“ wird als langfristiges Ziel vorgegeben. Doch reicht das? Haben Kritiker recht mit dem Vorwurf von Greenwashing – also sich einen grünen Anstrich zu verpassen, ohne nachhaltigkeitsorientierte Aktivitäten im operativen Geschäft auch systematisch umzusetzen. Laut EU-Taxonomie und CSRD (EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive) müssen alle veröffentlichten Daten korrekt gemessen und richtig dargestellt werden. „Das wird ja geprüft, und wir haben panische Angst davor, dass wir in Greenwashing-Verdacht kommen, deshalb sind wir auch sehr vorsichtig mit diesen Themen“, sagt Strauss. Genau gemessen wird daher bei der Kreislaufwirtschaft: 2023 belief sich die Recyclingmenge der Gruppe auf 2,8 Millionen Tonnen, 17 Annahmestellen gibt es bereits in ganz Österreich. Mit dem Recycling Center in Himberg betreibt Porr die größte Recyclinganlage für Baustoffe in Österreich. Eine Gips-zu-Gips-Recyclinganlage geht in Stockerau (NÖ) an den Start, weil ab Jänner 2026 Gipskartonplatten nicht mehr an Deponien gelagert werden dürfen. Genau gezählt wird der Strom- und Wasserverbrauch auf den Baustellen und ein Verpackungskonzept für Baustellen wurde entwickelt.
Ohne Beton „kein leistbares Wohnen“
Holcim wandelt sich durch Zukäufe vermehrt zu einem Anbieter von Baumaterial. Ab 2024 sollen jährlich zehn Millionen Tonnen Baurestmassen aufbereitet werden. In Kooperation mit dem Startup Neustark soll aus der Atmosphäre abgefangenes CO2 in Abbruchbeton gespeichert und wiederverwendet werden. Seit drei Jahren wird ein Klimabericht veröffentlicht, in dem alle Klimamaßnahmen, ihre Auswirkungen und die Erreichung der Ziele offenliegen. Sie wurden heuer den Aktionären erstmals zur Abstimmung vorgelegt. Die Zustimmungsrate betrug 95 Prozent, sagt Nollaig Forrest. Kren setzt auch auf absolute Transparenz. „Wenn wir nicht mit Stempel und Siegel nachweisen können, dass wir nachhaltiger werden, werden uns die Investoren keine langfristige Finanzierung mehr geben. Das ist ein Trend am Finanzmarkt, der schon seit Langem absehbar ist.“ Holcim investiert auch in Österreich in großem Stil, der auch Transportwege und Stromerzeugung umfasst: Das Portfolio reicht von der voll elektrischen Kiesgewinnung mit Bahntransport nach Wien bis zu einer 15-MW-Photovoltaik im Werk Mannersdorf (NÖ). „Um leistbares Wohnen zu schaffen, kommen wir in Zukunft an Beton nicht vorbei“, ist Strauss überzeugt. Er schätzt das Potenzial des hybriden Holz-Beton-Baus bei mehrgeschoßigen Bauten in Städten auf 15 Prozent ein. Derzeit liegt der Anteil bei 5 Prozent. „Wir bewegen uns mit großen Schritten auf den Einsatz von nachhaltigem Zement zu. Damit verliert auch der Holzbau wieder an Attraktivität.“