Aussterbende Gewerbe: Die Letzten ihrer Art
Zahlreiche Revolutionen musste die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten erdulden. Die industrielle Revolution führte zum Übergang von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft. Die Erfindung der Elektrizität machte die Nacht zum Tag und steigerte die Effizienz in vielen Branchen. Und auch die Globalisierung, die Erfindung des Internets und neuerdings die künstliche Intelligenz gestalten nach wie vor die wirtschaftliche Landschaft. Der Fortschritt geht über Leichen, Branchen wurden obsolet und Geschäfte verschwanden aus unseren Städten. Doch manche Betriebe, die von unbeugsamen Unternehmern geführt werden, trotzen den Zeichen der Zeit – und sind noch dazu sehr erfolgreich dabei.
Lange Tradition
Ein Unternehmen, welches die Umwälzungen der Vergangenheit überdauerte, ist die Blaudruckerei Wagner in Bad Leonfelden. Bereits im Jahr 1878 gründete Karl Wagner den Betrieb. Gelernt hatte er den Beruf in Hohenfurth, heute besser bekannt unter dem tschechischen Namen Vyšší Brod. Anschließend ging er für neun Jahre auf Wanderschaft, die ihn unter anderem nach Rügen, an den Rhein und in die Schweiz brachte. Aus dem Jahr 1832 wissen wir, dass es allein im Mühlviertel 17 Färberbetriebe gab, die zum Teil auch den Blaudruck praktizierten. Heute ist das freilich ganz anders. In ganz Österreich finden sich nur noch zwei Familien, die den Blaudruck beherrschen. Die Blaudruckerei in Bad Leonfelden befindet sich heute in den Händen der vierten Generation. Maria Wagner übernahm gemeinsam mit ihrem Mann vor 26 Jahren den Betrieb von ihrem Schwiegervater. „Damals war das Geschäft beschaulich“, erzählt Wagner, „aber mit viel Aufwand haben wir es wieder in Schwung gebracht.“
Blau machen
Der Blaudruck ist recht aufwendig und zeitintensiv. Dabei wird eine farbabweisende Substanz auf Modeln angebracht, eine sogenannte Papp, deren Rezeptur ein streng gehütetes Geheimnis der Familie ist. „Die Modeln sind so etwas wie unser Familiensilber“, erklärt Wagner, „wir gehen davon aus, dass manche davon bereits an die 200 Jahre alt sind.“ Ist der Papp eingetrocknet, wird der Stoff mehrmals in die Indigofarbe getaucht. Nach einer zweiwöchigen Trocknungszeit entfernt man den Papp und das weiße Muster kommt zum Vorschein.
Trachten-Renaissance
Ein Faktor, der dem Blaudruck in den letzten Jahren wieder Aufwind verlieh, war das Revival der Trachtenkleidung. Durch die erhöhte Popularität der traditionellen alpenländischen Gewandung stieg auch die Nachfrage nach Textilien mit Blaudruck. Dazu kommt, dass der Konsument von heute Kaufentscheidungen, vor allem im Textilbereich, wieder bewusster fällt. Regionalität und Qualität sind wichtiger als noch vor ein paar Jahrzehnten. „Es gibt viele Menschen, die das Handwerk und die hochwertigen Materialien schätzen“, sagt Wagner, „wir haben natürlich höhere Preise, aber manche Menschen wollen auch nicht mehr so viele Kleidungsstücke kaufen.“ Man erreicht dabei auch Menschen außerhalb der Region: „Bei den Trachten landen unsere Stoffe in ganz Österreich.“
Blick in die Zukunft
Vor 26 Jahren, als Maria und Karl Wagner den Betrieb übernahmen, wurde auch ihr Sohn Felix Karl geboren. Mittlerweile arbeitet er auch im Unternehmen seiner Mutter. Diese hofft, dass ihr Handwerksbetrieb so erhalten bleiben kann. „Wenn wir aufhören, ist wieder ein Handwerksbetrieb weniger“, sagt sie, „aber es geht halt nur, wenn man das Produkt auch verkaufen kann.“ Sie weiß, dass der Blaudruck in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt hat, aber sie blickt auch weiterhin optimistisch in die Zukunft. „Vergrößern werden wir uns allerdings nicht. Es gibt viele Unternehmen, die machen ihren Weg mit der Masse. Aber das ist nicht das, was ich möchte. Wir haben ein Nischenprodukt, und ich glaube, so sollte es auch bleiben.“
Zigtausend Produkte
Daniela Schwarz, Inhaberin der Linzer Institution „Kurzwaren Altmann“, hat nicht nur einen textilen Bezug zur Blaudruckerei. Sie lebt in Bad Leonfelden und ist faktisch Nachbarin der Wagners. Und sie ist ebenfalls in vierter Generation tätig, wenngleich nicht verwandtschaftlich. „1921 legte Ferdinand Altmann Senior, ein Schneider, den Grundstein. Sein Sohn, ebenfalls Ferdinand, machte daraus ein Kurzwarengeschäft“, so Schwarz. Ferdinand Junior blieb kinderlos, weshalb er das Geschäft per Leibrente an Ingeborg Gerstl verkaufte. Gerstl war eine „Institution in der Institution“. Sie blieb bis zu ihrem 86. Lebensjahr, bis 2018, Inhaberin. Daniela Schwarz lernte in Gerstls Ära den Beruf von der Pike auf. Die 42-Jährige verließ jedoch die Branche, bis sie 2017 von Gerstl zur Rückkehr bewegt wurde. „Eineinhalb Jahre später war ich Inhaberin und habe ihr das Geschäft abgekauft.“ Gemeinsam mit ihrer Kollegin, die seit 40 Jahren im Traditionsgeschäft tätig ist, sind die beiden Frauen Herrscherinnen über unzählbare Artikel. Wie viele es genau sind, weiß nicht einmal Daniela Schwarz: „Wir haben Zigtausende Knöpfe und Bänder. Gott sei Dank brauchen wir kein Warenwirtschaftssystem, wo wir die Artikel alle eingeben müssen.“
Seit 70 Jahren Stammkunde
Doch was sind „Kurzwaren“ eigentlich? Der Begriff kommt aus dem 18. Jahrhundert. „Kurz“ war nicht im Sinne der Länge gemeint, sondern eher im Sinne von „klein“. Kleine Waren, die man zur Herstellung von Kleidung benötigt: Von „A“ wie Applikationen bis „Z“ wie Zipper. Knöpfe, Reißverschlüsse, Bänder, Nähgarne – all das gibt es bei Kurzwaren Altmann. Den Namen behielt die Inhaberin bewusst bei. „Wenn man in Linz 100 Menschen fragt, können 70 sagen, wo der Altmann ist.“ Das Geschäft mit den Nähgarnen und Co. riss dabei nie ab. Waren es bis in die 1970er hauptsächlich noch Mütter, die für ihre Kinder – in Ermangelung großer Textilketten – noch selber nähten, sind es heute professionelle Schneiderinnen oder Hobbynäher. „Unsere Kunden umfassen alle Generationen, von Modeschülerinnen bis zu 100-Jährigen.“ Und das ist wörtlich gemeint, denn so manche Kundin kannte noch Ferdinand Altmann Junior persönlich. Oft hören die beiden Frauen Sätze wie diese: „Ich kaufe schon seit 70 Jahren bei euch ein“ oder „Ich bin so froh, dass es euch noch gibt“.
Voll im DIY-Trend
Im Gegensatz zu vielen anderen Geschäften, die während oder wegen Corona aufgeben mussten, hat Kurzwaren Altmann davon eher profitiert. „Viele waren zu Hause und irgendwann war Fernsehen zu langweilig, also suchten sie sich eine Beschäftigung. Einige begannen zu nähen oder mit dem Handwerken.“ Nicht nur für diese „Neueinsteiger“ bot das Geschäft einen speziellen Service: „Die Waren wurden telefonisch bestellt und wir stellten sie vor die Türe. Kundenkontakt war ja verboten.“ Vor allem Bänder wurden nachgefragt. Der Grund: „Viele stellten ihre Stoffmasken selbst her.“ Doch dabei blieb es nicht. „Es kommen immer mehr Kunden, die sich ihre Kleidung wieder selber nähen. Das sind Unikate, die qualitativ oft hochwertiger sind.“ Wer das nicht kann, der geht zu Schneidereien. Die Profis sind selbstverständlich ebenso Stammkunden bei Kurzwaren Altmann. Und sie sind gut im Geschäft: „Eine Schneiderin, die auf Kundschaft wartet, hat etwas falsch gemacht.“ Ein fast schon ausgestorbenes Gewerbe feiert ein Comeback.
Bewusst kein Webshop
Eine Kernkompetenz der beiden Frauen ist die hervorragende Beratung. Das ist einer der Gründe, warum Schwarz ganz bewusst keinen Onlineshop betreibt. „Ich könnte nie einen Knopf im Internet bestellen. Für mich muss das alles zusammenpassen und das kann man nur mit Anschauen und Angreifen. Das macht ja auch das Einkaufserlebnis aus.“ Das Geschäftslokal in einem alten Haus mit seinen dicken Mauern würde zudem keinen Platz für eine Onlinekommissionierung bieten. Dafür ist Platz für weitere Dienstleistungen. „Wir schlagen Druckknöpfe oder stoffbezogene Pressknöpfe per Handarbeit ein.“ So wie das schon Ferdinand Altmann Junior tat. Und so wie es seit 1921 Tradition ist, lebt das Geschäft von zufriedenen Kunden. Ein Geschäft, in das man reinwachsen muss. „Das kann man nicht einfach so lernen. Es braucht sehr viel Zeit.“
Den Eltern zu verdanken
Viel Zeit haben auch die Gefährte auf dem Buckel, mit denen sich Roman Pilz beschäftigt. Er betreibt in St. Georgen an der Gusen eine Sattlerei und neben Polstermöbeln widmet er sich vor allem Oldtimern. Schon sein Vater restaurierte gerne klassische Autos, und daher war für ihn bereits als Kind klar, er möchte etwas in dieser Sparte machen. „Mechaniker war mir aber zu schmutzig“, lacht Pilz, „meine Mutter arbeitete jedoch neben einer Sattlerei und brachte mich auf die Berufsidee.“ So entschied sich Pilz 1990 zu einer Lehre in der Branche.
Vom Lehrling zum Gründer
Schon in den Neunzigern gab es nicht viele Sattlereien. „Die Lehrlinge sind damals teilweise aus Südtirol zu uns gekommen, weil es so wenige Betriebe gegeben hat.“ Die beiden damaligen Sattlereien in Linz existieren heute auch nicht mehr. Die Gründe für den Rückgang sieht Pilz auch in der Bezahlung: „Verdient hat man damals sehr wenig, weil man in den Kollektivvertrag der Wagner gefallen ist. Da sind die Leute lieber in die Voest arbeiten gegangen.“ Vor acht Jahren machte sich Pilz selbstständig. Seine Frau und er kauften sich damals ein Haus in St. Georgen mit zwei großen Garagen, wo heute fleißig gearbeitet wird. „Und ich habe diesen Schritt nie bereut“, erzählt er.
Fest im Sattel
Als Stammkunden hat Pilz zwei Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Oldtimer zu restaurieren. Die Textilien lassen sie von Pilz erneuern. Diese vollständig restaurierten Oldtimer bleiben meist den Wohlbetuchten vorbehalten. „Das sind sozusagen die obersten Zehntausend“, sagt Pilz. Ansonsten ist seine Klientel bunt gemischt. Zu ihm kommen immer wieder Liebhaber, die auf einen Oldtimer sparen und sukzessive über Jahre hinweg Motor, Karosserie und schließlich die Textilien erneuern lassen. Auftragstechnisch sitzt Pilz fest im Sattel. Daher sollte man auch genügend Zeit einplanen, wenn man die Textilien im Oldtimer wiederherstellen möchte. „Gelegentlich werde ich angerufen mit der Bitte, beispielsweise noch die Sitze kurzfristig neu zu beziehen vor einer Ausfahrt. Aber das funktioniert leider nicht.“ Seine Stammkunden wissen bereits, dass sie einige Monate davor anfragen müssen. Viele wollen ihr Innenleben wieder so nahe am Original wie möglich. Aber Pilz geht auch auf Kundenwünsche ein. Vor allem bei den „Youngtimern“ achtet man oft nicht auf die originale Ästhetik, stattdessen zeigen Kunden ihm Fotos aus dem Internet oder lassen sich von ihm beraten. „Es hat noch nie einen Kundenwunsch gegeben, bei dem ich sagen musste, das geht nicht.“
Sattler werden seltener
In die Zukunft geht Pilz vorsichtig zuversichtlich: „Solange es die Automobilindustrie gibt, braucht man auch Sattler. Mein einziger Wunsch ist daher, dass die Autos nicht ganz verschwinden.“ Aber er weiß auch, dass es in Österreich immer weniger Firmen geben wird. „Ich glaube daran, dass neue Firmen aufmachen werden, aber die Zahl wird sich in Zukunft dennoch verringern, fürchte ich.“ Und damit gibt es leider auch weniger Betriebe, die Lehrlinge ausbilden. Auch das könnte eine Herausforderung für die Branche werden.
Zweiter Bildungsweg
Auch bei den Büchsenmachern gibt es vergleichsweise wenig Nachwuchs. In den letzten Jahren schlossen pro Jahr nur zwischen zwei und sechs Personen eine Lehre zum Büchsenmacher ab. Heinz-Peter Kurus hat sich erst am zweiten Bildungsweg für den Beruf des Büchsenmachers und Schäfters entschieden. Nach der AHS-Matura und einigen Jahren in der Privatwirtschaft erlernte er sein Handwerk „auf traditionelle Art und Weise“ in Ferlach an der HTL. „Ich hatte das große Glück, in der HTL von bereits älteren, aber sehr erfahrenen Büchsenmachern unterrichtet zu werden“, denkt Kurus zurück, „das Handwerk wird heute durch die industrielle Fertigung der Jagdwaffen immer mehr in den Hintergrund gedrängt.
Schützen aller Art
Im Jahr 1997 eröffnete Kurus seinen eigenen Waffenladen, in dem er auch Reparaturen anbietet. Später wurde der Standort von Perg nach Baumgartenberg verlegt und seit 2017 besitzt er hier ein großzügig gestaltetes Geschäft. Als Ein-Personen-Betrieb hat sich Kurus bewusst nicht auf einzelne Zielgruppen spezialisiert. „Meine Kunden stammen quer durch aus allen Bevölkerungsgruppen und sämtlichen Einkommensschichten und teilen sich sehr gleichmäßig in Jäger, Sportschützen und Privatpersonen auf.“ Da sind auch die Kundenwünsche oft sehr unterschiedlich. Waffen – und besonders das Jagen – liegen zurzeit im Trend, erzählt Kurus. „Ich sage schon seit Jahrzehnten, Golfen ist out, Jagen ist in.“ Auch viele Politiker würden dem Hobby nachgehen, üben das Waidwerk aber eher diskret aus. Kurus würde sich wünschen, dass sich diese öffentlich für die Jagd und legale Waffen einsetzen. Denn der Beruf des traditionellen Büchsenmachers und Schäfters ist laut ihm am Aussterben. „Nur noch sehr wenige können dieses Handwerk qualitativ hochwertig ausführen.“ Wenn es die Zeit im Verkauf zulässt, baut auch Kurus noch gelegentlich selbst eine Waffe. Denn es bereitet ihm auch nach so vielen Jahren noch immer besondere Freude, wenn er in der Büchsenmacher-Werkstatt steht und dem außergewöhnlichen Handwerk nachgehen kann.