Akutes Blasenleiden
Gesenktes Haupt, schwerer Schritt: Wirecard-CEO Markus Braun hat schon einmal dynamischere Zeiten erlebt, sogar die deutsche Altbundeskanzlerin Angela Merkel schwärmte in China vom Fintech mit Weltrang. Was vom Hype blieb, ist eine 474 Seiten starke Anklageschrift und der größte Betrugsskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Von Ruhm und Glanz ist wenig über“, sang schon Rainhard Fendrich, denn so wie Braun ist einer der meistgesuchten mutmaßlichen Wirecard-Kollaborateure Jan Marsalek „from Austria“. „From Sweden“ ist Klarna, deren CEO Sebastian Siemiatkowski muss sich zwar keinem Betrugsverdacht stellen, doch wirklich rund läuft das einst wertvollste Startup Europas auch nicht. Klarna stürzte beim Unternehmenswert von 45,6 auf 6,7 Milliarden Euro ab. Für Siemiatkowski ist das Teil einer Bereinigung, sprich Fintechs waren zum Teil völlig überbewertet. „Klarna ist das einzige Fintech-Unternehmen der Welt, das in den ersten 14 Jahren seines Bestehens profitabel war“, meint der CEO. Doch Klarna kam in letzter Zeit immer öfters in die Schlagzeilen, nicht nur, weil es den Schweden wieder gelang, weitere 792 Millionen Euro an Risikokapital unter anderem von Sequoia Cap, der Bank of Australia und dem Staatsfond der Vereinigten Arabischen Emirate zu holen, sondern wegen Kunden, die durch den Bezahldienst in die Schuldenfalle gerieten. Klarna bietet eine „buy now, pay later (BNPL)“-Dienstleistung an, und zwar ohne Bonitätsprüfung. Das Fin-tech schießt den Betrag vor und holt ihn sich in Raten mit einigen Gebühren vom Gläubiger wieder. Der EU ist das ein Dorn im Auge und man will dem BNLP-Prinzip einen Riegel vorschieben, so soll es schon bei Kleinkrediten eine Bonitätsauskunft geben. Klarna verliert damit seinen USP gegenüber klassischen Konsumkrediten. Dabei ist in den letzten drei Jahren enorm viel in Fintechs investiert worden. Jeder fünfte in Startups gesteckte Euro ging in junge Finanzdienstleister. Ist dieser Hype nun vorüber?
Holvi: 82 % weniger Kunden
Auch andere einst hoch gefeierte Fintechs haben derzeit wenig zu jubeln. Holvi mit Sitz in Helsinki – nein „Fintech“ stammt nicht aus Finnland – vermeldet 82 Prozent weniger Kunden. Das relativiert sich insofern, als dass Co-Gründer Tuomas Toivonen das Startup von der spanischen Bank BBVA zurückgekauft hat und die Verluste von 117 Millionen Euro auf vier Millionen senkte – mit einer „Zero Budget Policy“, sprich einem radikalen Sparkurs. Er halbierte den Mitarbeiterstand. Auch das deutsche Fintech-Startup Kontist sparte ein Viertel seiner Belegschaft ein. Es gäbe noch weitere unzählige Beispiele für die Krise der Fintech-Branche, denn es kracht im Gebälk.
Vertrauensverlust in Kryptowährungen
Zahlreiche Fintechs profitierten vom Krypto-Hype, der derzeit ebenso im Rückzug begriffen ist. Getrieben von Kun- den und Investoren, die dem klassischen Banken- und Währungssystem etwas ent- gegensetzen wollten, stürzen Kryptowährungen aktuell ab. Schlagzeilen, wie etwa, dass das Schürfen von Bitcoin und Co mehr schädliches CO2 verursacht als die globale Rinderzucht, sind da nur ein Teil der Wahrheit. Der Absturz vernichtete auch ein gewaltiges Vermögen. Betrug der Marktwert aller Kryptowährungen im November 2021 noch drei Billionen US- Dollar, so liegt dieser Wert nun unter 900 Milliarden. Laut einer Studie von CNBC vertrauen nur noch 30 Prozent aller 26- bis 41-Jährigen Krypto-Investments. Ein Jahr zuvor war es noch knapp die Hälfte.
Pleiten, Pech und Pyramiden?
Ein Vertrauensverlust mit Folgen: Die größte Kryptobörse der USA, Coinbase, musste im zweiten Quartal 2022 einen Verlust von mehr als einer Milliarde US-Dollar verkraften. Die Kryptobank Nuri, einst gefeiert, ist pleite, ebenso wie der US-Kryptobroker Celsius mit 5,5 Milliarden Dollar Verbindlichkeiten. Unzählige Kunden verloren ihr Kapital und damit auch das Vertrauen. Ist, frei nach Fendrich, „dei hohe Zeit längst vorüber“? Weitere „kryptische“ Insolvenzen sind zu erwarten, denn die Szene ist stark miteinander vernetzt, so war das deutsche Fintech Nuri Partner des US-Pleitiers Celsius. Waren Kryptowährungen nur eine Art Pyramidenspiel für Nerds? Österreichs erstes Unicorn, Bitpanda, muss derzeit ganz analog den Rotstift ansetzen und Stellen streichen, denn Bitcoin und Co sind im freien Fall. Bitpanda-CEO und Mitgründer Eric Demuth beruhigt: „Die etablierten Coins wie Bitcoin, Ethereum und Co. werden immer bleiben. Da mache ich mir überhaupt keine Gedanken“, meint er im Interview mit dem Handelsblatt. Selbst vermehrte Regulierungsbemühungen sollten laut Demuth keine Existenzbedrohung sein. Vielen klassischen Bankern mag diese Tendenz gefallen, lange Zeit unregulierte Kryptowährungen waren ihnen ein Dorn im Auge. Den Niedergang der auf Blockchains basierten Währungen, die das hoch regulierte Finanzsystem ad absurdum führten, mag so mancher Banker mit Befriedigung genießen.