Siegfried Nagl: Keine Koalition mit Herbert Kickl
weekend: Sie haben kürzlich gesagt, dass es Ihre letzte Periode als Grazer Bürgermeister sein wird. Was macht Siegfried Nagl im Jahr 2026?
Siegfried Nagl: Das weiß ich genauso wenig wie der Rest der Welt. Ich schaue einfach, welche Herausforderungen auf mich zukommen. Jetzt weiß ich nur, dass wir noch viele Projekte in der Pipeline haben, die noch umgesetzt werden müssen. Ich nehme als Beispiel das Verkehrsproblem. Egal, ob es die Radwege oder ein Metrosystem sind: Wenn du da nicht die Kontakte zu Bund und Land hast und deine Hand in alle Richtungen ausstrecken kannst, wird es schwer werden. Es gibt also noch einiges fertig zu machen und das möchte ich auch tun.
weekend: Wollten Sie politisch nie etwas anderes tun?
Siegfried Nagl: Die kommunalpolitische Ebene ist die Königsklasse der Politik. Nirgends bist du so nah dran oder bekommst die Emotionen so zu spüren wie als Bürgermeister. Ich bin für alles verantwortlich was gelingt, aber auch für alles, was nicht gelingt.
Ich bin für alles verantwortlich was gelingt, aber auch für alles, was nicht gelingt. – Siegfried Nagl über die Vor- und Nachteile eines Bürgermeisters.
weekend: Sie sind seit 19 Jahren Bürgermeister. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Siegfried Nagl: Der Ton ist viel rauer geworden. Zwar nicht bei uns im Rathaus, aber wenn ich sehe, was sich auf Social Media abspielt. Da gibt es eine neue Sprache in der Gesellschaft, die mir Sorgen bereitet. Ich wollte immer die Mitte sein und habe schon bewiesen, dass ich mit allen Parteien arbeiten kann. Das ist uns ein bisschen abhandengekommen. Die Sozialdemokratie haben wir zum großen Teil aus der Mitte verloren und stattdessen sind die Ränder erstarkt. Das ist weder gut für unser Land, noch für unsere Stadt. Im Moment habe ich das Gefühl, es geht gar nicht mehr um einen Kompromiss oder Konsens, sondern nur noch darum, den anderen möglichst schlecht aussehen zu lassen.
weekend: Das hört sich fast so an, als ob sie es bedauern, dass die SPÖ in Graz so schwächelt?
Siegfried Nagl: Die Sozialdemokratie war früher, wie die ÖVP, eine Partei der Mitte. Daneben gab es eine ganz linke und eine ganz rechte Position. Der Standpunkt, den die SPÖ jetzt oft einnimmt, ist der Versuch, die KPÖ links zu überholen. In der Mitte fehlen mir andere Fraktionen.
weekend: Ihr aktueller Koalitionspartner ist auch jemand, der oft raue Töne anschlägt …
Siegfried Nagl: Es gibt genügend Strömungen in der freiheitlichen Partei, die die Gesellschaft spalten. Nach der letzten Wahl bin ich mit der FPÖ eine Koalition eingegangen, weil es die einzig mögliche Konstellation war.
weekend: Man kann also nicht unbedingt von einer Liebesheirat sprechen?
Siegfried Nagl: Das war es von beiden Seiten nicht. Wir haben uns aber drauf verständigt, möglichst viel für Graz weiterzubringen. Zu Beginn gab es auch ein paar heftige Aussprachen.
weekend: Kann man weiterhin mit einer Partei koalieren, deren Obmann bei einer Demonstration „Kurz muss weg“ skandiert?
Siegfried Nagl: Ich würde mit Herrn Kickl in Graz auch keine Koalition eingehen. Ich muss aber ohnehin abwarten, was die Grazer mir durch das Wahlergebnis vorgeben. Ich weiß nicht, ob Graz nach dieser Wahl überhaupt regierbar sein wird. Ich hoffe, dass mir das Wahlergebnis einige Konstellationen beschert. Dann sehen wir, wer das ausgearbeitete Programm mit mir umsetzen will.
weekend: Sind sie mit den Corona-Maßnahmen der Regierung zufrieden?
Siegfried Nagl: Das war eine Herausforderung mit einer weltweiten Dimension, die wir in dieser Form überhaupt noch nicht kannten. Alle Österreicher können nur dankbar sein, dass sie in einem Land leben, wo die Regierung es geschafft hat, Arbeitsplätze zu erhalten und die Wirtschaft vor dem totalen Kollaps zu bewahren. Es hat sicher auch Fehlentscheidungen gegeben, ich stelle der Regierung in dieser Frage aber ein gutes Zeugnis aus. Es ist schwer, alle Menschen abzuholen.
weekend: Da sind wir wieder bei der Spaltung. Warum hat man es nicht geschafft, die Menschen abzuholen?
Siegfried Nagl: Man hat die Ängste und Sorgen der Menschen nicht so wahrgenommen. Die Opposition hat aus meiner Sicht auch eine fürchterliche Rolle gespielt: Gerade in Krisensituationen sollten alle zusammenhalten. So viele Fake News wie in diesem Bereich verbreitet wurden, haben die Menschen verunsichert. Deswegen dürfen wir jetzt auch nicht aufhören, die Menschen ins Boot zu holen.
weekend: Tragen Sie mit, dass Geimpfte bevorzugt werden? Stichwort 1-G-Regel.
Siegfried Nagl: Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass über kurz oder lang unterschieden werden muss, wer geimpft ist und wer einfach nicht will.
weekend: Wird es nochmal einen Lockdown geben?
Siegfried Nagl: Ich denke, oder besser gesagt, ich hoffe nicht. Ich kann aber auch nicht sagen wie aggressiv die nächsten Varianten sein werden. Je weniger Menschen mithelfen, uns alle gemeinsam zu schützen, umso eher haben diese Varianten eine Chance. Wenn wir es nicht zu einer höheren Impfrate schaffen, kann es sein, dass es wieder zu Einschränkungen kommen wird.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass über kurz oder lang unterschieden werden muss, wer geimpft ist und wer einfach nicht will. – Siegfried Nagl über mögliche Nachteile für Ungeimpfte.