Elīna Garanča: Stern am Opernhimmel
Wie geht es Ihnen als Künstlerin, die Open Airs und Bühnenauftritte vor tausenden Menschen als „täglich Brot“ erlebt, mit der künstlerischen Zwangspause durch die Corona-Pandemie?
Elīna Garanča: Wir befinden uns bereits ein Jahr nach der Pandemie und ich habe viele verschiedene persönliche und berufliche Phasen durchlaufen. Alles begann anfänglich mit einem großen Schock und der Ungewissheit, wie es mit den Konzerten, dem kulturellen Leben und unserem normalen Alltag weitergehen wird. Werde ich reisen können, gibt es Flüge? Muss ich in Quarantäne gehen und für wie lange? Werde ich zu meiner Familie zurückkehren können? Jeder einzelne Tag brachte neue Herausforderungen mit sich. Aber Sängerin zu sein, bedeutet nicht nur, jeden Abend auf der Bühne zu stehen. Es gibt auch eine Menge Arbeit, Studium und persönliche Entwicklung, auch wenn wir nicht auf der Bühne stehen. In diesem Sinn war mein Corona-Jahr arbeitsreich.
Gibt es auch etwas Positives, das Sie dem Ganzen abgewinnen konnten?
Garanča: Sogar viele Dinge. Als ein Mensch, der immer etwas tun muss, der nicht länger als eine Woche ruhig sitzen und an einem Ort bleiben kann, habe ich mich wieder daran erinnert, wie man sich entspannt. Ich habe mich in meinen Garten zurückgezogen, zu den Obstbäumen, Gemüse angebaut, das Haus neu dekoriert, meinen Kopf frei gemacht und Ideen und Gedanken, die ich jahrelang ungelöst in mir trug, neu bewertet. Herrlich war die ungestörte Zeit, die ich mit meinen Kindern und meiner engsten Familie verbringen konnte.
Die Wiener Staatsoper ist für mich mein Stammhaus, in dem ich mehr als 150 Vorstellungen gesungen habe.
Vermissen Sie dennoch etwas?
Garanča: Ich vermisse die menschliche Berührung und Nähe. Ich vermisse die Umarmungen und die Möglichkeit, mit meinen Freunden am selben Tisch zu essen, eine Hand zu schütteln oder die Wangen der Person zu küssen, wonach mir gerade ist. Ich vermisse es, mich mit dem Live-Publikum zu verbinden und den mit Musik und Emotionen gefüllten Konzertsaal mit anderen Menschen zu teilen. Je mehr und je länger wir physisch getrennt sind, desto stärker ist unsere Sehnsucht nach der Verbindung mit jemandem. Egal, wie modern, ausgeklügelt oder technisch fortschrittlich die Online-Verbindungen sind. Es kann und wird das echte Live-Erlebnis nicht ersetzen können.
Wie waren Ihre Erfahrungen als Mutter mit dem Homeschooling?
Garanča: Das Homeschooling war am Anfang nicht einfach. Es stellte sich heraus, dass ich mich nicht mehr an vieles erinnerte und ich musste buchstäblich alles neu lernen, bevor ich es meinen Mädchen erklären konnte. Andererseits haben mich meine Töchter noch nie als Lehrerin erlebt und diese Rolle erfordert eine völlig neue Art von Autorität. Ich versuchte, den Schultag zu strukturieren und irgendwo bei dem Versuch, die Mädchen zu motivieren und dazwischen ein paar Telefonanrufe zu beantworten, guckte ich auf die Uhr: „Oh Mist, jetzt muss ich was kochen!“ Ich kann nur sagen, dass jede Mutter oder jeder Vater, die oder der zu Hause unterrichtet, eine Medaille verdient.
Was wünschen Sie sich als Mutter für die Zukunft Ihrer Kinder?
Garanča: Ich wünsche es mir aufrichtig und vertraue darauf, dass diese Welt ein gesunder, friedlicher und verständnisvoller Ort für viele kommende Generationen sein wird. Wie jede andere Mutter auch, möchte ich, dass meine Kinder glücklich sind, egal unter welchen Umständen. Glücklich auf die Art und Weise, wie sie es sein wollen. Nicht um mir oder meinem Verständnis von Glück zu gefallen, sondern damit sie gebildete, gesunde, emotional intelligente Individuen sind, die in der Lage sind, sich ihre eigene glückliche Welt zu erschaffen.
Wenn ich von der Bühne in tausende lächelnde Gesichter sehe, möchte ich alle umarmen, zumindest mit der Musik.
Was ist das Geheimnis Ihrer Stimme, die so wunderschön klingt? Haben Sie einen Zaubertrank?
Garanča: Oh, wie sehr wünsche ich mir, dass es einen Zaubertrank gibt! (Lacht.) Es ist eine Sache, mit einer bestimmten Veranlagung geboren zu werden und eine andere Sache, Verantwortung zu übernehmen und sich darum zu kümmern. Mein Körper ist mein Instrument und es gibt Dutzende von Dingen, die ich gerne tun würde, aber nicht kann, oder zumindest nicht sollte. Sie können sich vorstellen, dass ich alles tun werde, um meine Stimme zu schützen, und das geht viel weiter, als nur eine warme Tasse Tee zu trinken, was eigentlich den gegenteiligen Effekt haben kann. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich von meiner Mutter geerbt habe, aber ein großer Teil meines Zaubertricks sind einfach Disziplin und harte Arbeit.
Sie sind in Lettland geboren, Ihr Ehemann, der Dirigent Karel Mark Chichon, ist Brite, Ihr Familienleben spielt sich in Riga ab und Sie sprechen ein exzellentes Deutsch. Welche Sprache sprechen Sie daheim?
Garanča: Wir sind wirklich eine internationale Familie und wir genießen jedes einzelne Stück davon. Zu Hause sprechen wir hauptsächlich Englisch. Da mein Mann Brite ist und Englisch auch unsere Geschäftssprache ist, ist es für uns als Familie einfacher, die Dinge auf Englisch voranzubringen. Wenn ich mit meinen Mädchen allein bin, sprechen wir Lettisch. Für mich ist es einerseits sehr wichtig, dass meine Kinder meine Muttersprache und mein Erbe verstehen und dass sie mit ihren Cousins und Freunden in Riga spielen und die Zeit verbringen können. Andererseits, wenn wir die Familie meines Mannes in Gibraltar und Spanien besuchen, sprechen wir Spanisch und fügen dann sehr leicht spanische Wörter in unsere englische Unterhaltung ein: „I need to change light bulbs in my vestidor“ oder „Mira, mama, what I have found!“ Meine enge und herzliche Beziehung zur deutschen Sprache ist auf meine jungen Jahre und meine ersten richtigen Engagements in deutschen Theatern zurückzuführen. Es ist im Grunde eine Sprache, in der alle meine großen Träume verwirklicht wurden. Jetzt, während des Lockdowns, musste ich für mein Wiener „Kundry“-Debüt wieder ins Deutschstudium eintauchen und ich hoffe, es wird ein weiterer Traum wahr.
Sie sind eine wunderschöne Frau und daher ist die Frage nach Ihrem Beauty-Geheimnis wohl erlaubt?
Garanča: Es ist kein Geheimnis, sondern millionenfach wiederholte Wahrheit, dass es das Gleichgewicht ist, das Wunder bewirkt. Ich würde jedem raten, so viel Zeit wie möglich in der Natur zu verbringen, oder noch besser im Garten zu arbeiten. Die Arbeit in meinem Garten hat mich nie im Stich gelassen und es ist eine fantastische physische und mentale Zuflucht. Mit meinen Händen in der Erde fühle ich mich lebendig, bin mit der Natur verbunden und glücklich, mein eigenes Gemüse anzubauen. Und was könnte besser für Körper und Seele sein, als in Kontakt mit der Natur zu sein und sich gesund zu ernähren.