Warum wir unsere Nasen in fremde Leben stecken müssen
Es ist egal, ob wir uns über das Leben unseres eigenwilligen Nachbarn oder das von Jennifer Aniston unterhalten. Es ist egal, ob wir das Objekt unserer verbalen Begierde persönlich kennen oder nicht. Was uns brennend interessiert, ist dasselbe: Beziehungsthemen, mögliche Schwangerschaften, Trennungen, Affären, Skandalöses. Und die Suche nach Gründen: Wir glauben zu wissen, warum die Frau im Stock über uns Single ist und wohl ewig alleinstehend bleiben wird; weshalb es mit Nachwuchs beim Paar gegenüber nicht klappt; warum sich Katie Holmes von Tom Cruise getrennt hat, weswegen unser Lieblingssänger ständig seine Frau betrügt, … Je abstruser ein Gerücht ist, umso schneller verbreitet es sich. Zumindest scheint es so. Wir sprechen über andere, lästern, mischen uns ungefragt in deren Leben ein. Wieso tun wir das?
Warum fasziniert uns Klatsch?
Die Menschen sind neugierig. Wir wollen informiert sein. Wir vergleichen uns und konkurrieren unbewusst mit anderen, auch wenn das nicht immer gut für uns ist. Eigentlich sollte uns das eigene Leben doch genügen, es ist aufregend und fordernd genug. Na ja, trotzdem möchten wir wissen, wer gerade seine Firma in den Sand gesetzt hat oder welche ehemalige Schulkameradin nächstes Wochenende heiratet. Und wen, natürlich. Eine gute Partie oder einen hässlichen Kerl? Heiratet sie nur die zweite Wahl, weil ihre erste längst vergeben ist? Heimlich treffen sie sich ja sowieso …
Klatsch und Tratsch implizieren Abwertungen. Wenn es jemand anderem scheinbar schlechter geht als uns, geht es uns automatisch besser. Außerdem steigt das eigene Ansehen, wenn wir etwas zu erzählen haben (ob es wahr ist, ist eine andere Sache). Fakt ist: Wir können nicht anders. Schon Kinder berichten über ihre Erlebnisse, wer, was, wann, wo und mit wem getan hat. Vom Lästern sind wir zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt, das kommt später, mal mehr, mal weniger intensiv ausgeprägt.
Hat Lästern positive Effekte?
Kaum zu glauben, aber die Antwort lautet ja. Diese Form der Kommunikation – denn im Grunde ist es eine Art des sozialen Austauschs – fördert Gehirn, Gesundheit und Wohlbefinden. 2006 wurde an der schottischen Universität St. Andrews zu wissenschaftlichen Zwecken „Stille Post“ gespielt. Fakten konnten sich die Probanden kaum merken, pikante Details hin-gegen äußerst genau. Unser Gehirn ist eben nicht auf das Merken von Zahlen ausgerichtet. Wir brauchen Geschichten, etwas, das unsere Emotionen weckt, Dinge, die wir mit selbst Erlebtem verknüpfen und uns auf diese Weise besser merken können.
Wenn wir über andere reden, sind wir keine Außenseiter, sondern gehören einer Gruppe an. Noch dazu einer Gruppe, die eine brandaktuelle Neuigkeit, ja vielleicht sogar ein Geheimnis teilt. Das stärkt unser Gemüt und den Zusammenhalt. 2017 fanden italienische ForscherIn-nen heraus, dass beim Tratschen dieselben Hormone ausgeschüttet werden wie beim Sex oder unmittelbar nach einer Geburt: pures Glücksgefühl! Wenn wir glücklich sind, geht es uns blendend, wir sind entspannt. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass die Grenze zu Mobbing sehr rasch überschritten wird. Und das hat dann für die Betreffenden absolut nichts mehr mit Glück oder Entspannung zu tun!
Sind Klatsch und Tratsch ein weibliches Phänomen?
Die historischen Vorgängerinnen der Klatschtanten waren die Waschweiber. Sie klatschten – in zweierlei Hinsicht. Einerseits schlugen (klatschten) sie die Wäsche auf einen Stein, andererseits tauschten sie währenddessen Neuigkeiten aus. Damals wie heute standen und stehen die Männer den Frauen in dieser Hinsicht in nichts nach. Glaubt mir, in dem Verein, in dem ich ehrenamtlich aktiv bin, sind mehr Männer als Frauen vertreten. Und lästern können die Herren mindestens genauso gut wie wir Mädels. Sie mögen es nur nicht, wenn man sie des Lästerns überführt. In ihren Augen sind das ganz normale, banale, belanglose Unterhaltungen … mit ein wenig Würze eben!
Klatsch und Tratsch sind also sowohl männlich als auch weiblich! Übrigens, die Tendenz zu Klatsch und Tratsch ist am Land nach wie vor marginal höher als in der Stadt. Doch die Gossip-Magazine haben ohnehin längst jeden Winkel der Welt erreicht.
Zur Autorin
Ungewöhnliche Trends und wenig Alltägliches - von leichter Hand präsentiert: Dem hat sich Passion Author Hanna E. Lore buchstäblich verschrieben.