Toleranz der Österreicher: "egal" bis "empört"
Inhalt
- Eigenlob
- Hart oder herzlich
- Der intolerante Mann
- Frage der Sichtbarkeit
- Haltung macht Verhalten
- "Shift happens!"
Respekt- und rücksichtsvoll, aufgeklärt wie aufgeschlossen: Werden sie direkt gefragt, sind die einzelnen Österreicher an und für sich nahezu vorurteilsfrei. Wenn, ja wenn nur nicht die wertkonservativen, verbohrten wie vernagelten Nachbarn wären...
So lässt sich, natürlich leicht überspitzt, der Blick auf den zwischenmenschlichen Umgang mit anderen Mitgliedern der bunten rot-weiß-roten Gesellschaft zusammenfassen, die eine repräsentative Marketagent-Studie zum Thema Toleranz im Auftrag der Beauty-Marke Nivea genau unter die Lupe genommen hat.
Eigenlob
Während sich mehr als 76 Prozent der Befragten generell als ausgesprochen weltoffen definieren, wird das Umfeld deutlich engstirniger eingeschätzt. Nur 22 Prozent bescheinigen ihren Landsleuten mit einer ähnlich liberalen Weltanschauung durchs Leben zu gehen. Eine Diskrepanz, die sich bei allen Bevölkerungsgruppen manifestiert, aber in dieser Ausprägung auch Studienmacher Thomas Schwabl überrascht hat.
Hart oder herzlich
Während das Gros der Befragten gegenüber Menschen mit Behinderungen (68 Prozent) und älteren Mitbürgern (63 Prozent) großes Wohlwollen entgegenbringt, bekennen nur vier von zehn Befragten, dass sie in Bezug auf die sexuelle Orientierung ihres Gegenübers hohe Toleranz walten lassen. Übrigens wird auch jüngeren Menschen nicht mit mehr herzlicher Offenheit begegnet. Besonders reserviert ist man aber gegenüber Zeitgenossen, die eine anderen kulturellen Background haben oder nicht die eigenen religiösen oder politischen Ansichten teilen. Schwabl spricht hier von einem "negativen Trend", der sich in mehr oder weniger stark ausgeprägter Form auch im restlichen Europa feststellen lässt.
Hohe Toleranzwerte, wie etwa den älteren Semestern gegenüber, lassen aber nicht unbedingt immer auf eine hohe Akzeptanz schließen: Manche Lebenssituationen sind dem Österreicher zum aktuellen Zeitpunkt vielleicht "wurscht", mutmaßt der Studienautor. Nachsatz: "Solange man eben selbst – noch nicht – betroffen ist."
Der intolerante Mann
Vergleichsweise weniger Verständnis erleben indes viele Mitglieder der LGBTQIA+-Community – vor allem von einem Teil der Gesellschaft: Nur knapp über 50 Prozent der befragten Männer orten sich gegenüber Schwulen, Lesben, Transgenderpersonen & Co. als besonders wertschätzend ein. Frauen hingegen zeigen sich mit 72 Prozent weit abgeklärter.
Auch in Detailfragen lassen Männer wenig Sympathien erkennen. Nicht einmal ein Drittel befürwortet die Gleichheit aller queeren Lebensmodelle vor dem Gesetz. Mehr als 40 Prozent sind der Ansicht, dass es nicht mehr als zwei Geschlechter gibt.
Frage der Sichtbarkeit
"Wir sehen, es ist noch viel Luft nach oben", sagt dazu Astrid Weinwurm-Wilhelm, Präsidentin von Pride Biz Austria. Sie plädiert daher für ein "Gleichgewicht der Sichtbarkeit", auch und vor allem am Arbeitsplatz – natürlich nicht hinsichtlich der Vorlieben, sondern der eigenen Identität. Ihre Botschaft an die Community: "Wir können die sexuelle Orientierung nicht an der Bürotür abgeben!" Wer sich outet, schaffe Berührungspunkte und helfe, Vorurteile abzubauen sowie Veränderungen im Mindset der Mitmenschen anzustoßen. Dazu brauche es aber auch die Unterstützung aus den Unternehmen, und zwar auf allen Ebenen. Dass immer noch knapp 60 Prozent aller Befragten meinen, dass von Diskriminierung betroffene Menschen mit ihren Problemen selbst fertig werden müssen, stimmt sie wütend. Doch sei das Glas nicht nur halb leer, sondern auch halb voll. Viele Betriebe, so Weinwurm-Wilhelm, würden mittlerweile auf Dialog setzen, Coachings anbieten und sich vehement gegen Benachteiligungen stark machen.
Haltung macht Verhalten
Gesprächs- wie Handlungsbedarf besteht definitiv: Knapp zwei Drittel der Befragten, die sich als Teil der bunten Regenbogenfamilie definieren, waren laut Studie schon einmal von Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung im öffentlichen Raum betroffen. Erlebt wird diese eben auch am Arbeitsplatz. Größtenteils im Umgang miteinander und im vermeintlich harmlosen Small Talk unter Kollegen. Offener Affront ist meist die Ausnahme: Weniger als 15 Prozent sprechen von klaren Benachteiligungen. Meist beginnt – und bleibt es auch – beim "harmlosen" Witz. "Es ist die Sprache, die uns vereint oder trennt", sagt Motiv- und Changeforscherin Charlotte Hager. Wobei vielen außerhalb der Community gar nicht bewusst sei, dass sie schon mit vermeintlich flapsigen Bemerkungen massiv Grenzen überschreiten. Katharina Kacerovsky-Strobl, Veranstalterin der Vienna Pride, appelliert hier ebenfalls hellhörig zu sein und gegebenenfalls ein klares "Stopp" auszusprechen, als Betroffener wie auch als Beobachter. Getreu dem Motto: "Haltung macht Verhalten!" Viele Unternehmen würden hier schon mit gutem Beispiel vorangehen und es nicht nur bei „Worthülsen“ belassen, so Kacerovsky-Strobl. Das merke sie im Dialog mit vielen Stakeholdern wie auch in der regen unternehmerischen Unterstützung der Regenbogenparade.
"Shift happens!"
Dass der Wandel unaufhaltsam ist, auch für Schnabl ausgemachte Sache. Könnte uns aber mit Blick auf die Kernbotschaft der Studie – und dem Blick in die österreichische Seele – noch länger beschäftigen, denn: "Wer sich selbst als tolerant empfindet, sieht keinen Handlungsbedarf, etwas zu ändern", befürchtet der Autor. Daher werde es wohl noch Jahrzehnte dauern, bis die tradierten wie traditionellen Einstellungen abgelöst sein werden. Doch eines ist für den Forscher fix: "Shift happens!"