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Pflege in Tirol: Fakten und Zukunftsvisionen

02.09.2021 um 13:00, Alexandra Nagiller
min read
Rund 7.000 Pflegekräfte werden in den nächsten Jahren in Tirol benötigt. Woran hapert es und welche Strategien werden verfolgt? Wir haben nachgefragt.

Die Babyboomer- Generation geht langsam in Pension, gleichzeitig stehen weniger Menschen im Berufsleben und wir leben deutlich länger. Das stellt uns künftig vor enorme Herausforderungen, gerade im Gesundheitswesen. Pflegepersonal wird dringend benötigt, doch das Rezept, um dieses Dilemma zu lösen, scheint noch nicht gefunden. Das bestätigt auch Gesundheitslandesrätin Annette Leja: „Der Fachkräftemangel ist in allen Berufsgruppen zu spüren, nicht nur in der Pflege. Der Kampf um die Fachkräfte wird weiter gehen. Umso wichtiger ist es, nun anzusetzen, um gute Leute für diesen Bereich zu gewinnen.“

Eine Imagefrage?

Tatsache ist, dass Pflegeberufe – auch wenn diese als Helden während Corona gefeiert wurden – ein Imageproblem haben. „Es steht außer Frage, dass der Beruf körperlich und emotional herausfordernd und manchmal auch belastend ist. Es gibt aber mindestens genauso viele Fakten, die für den Beruf sprechen: Es gibt sehr flexible Arbeitszeitmodelle, die Entlohnung ist durch die Umsetzung des Projektes ,Gleiches Geld für gleiche Arbeit‘ marktkonform und die Arbeit ist sehr erfüllend. Außerdem bieten die Pflegeberufe ein weites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten und mit dem neuen Ausbildungsprogramm wird der Aufstieg attraktiv gemacht“, erklärt die Gesundheitslandesrätin. Gerhard Müller, Institutsleiter für Pflegewissenschaften und Gerontologie an der UMIT, sieht vor allem auch jene im Beruf in der Pflicht, das Bild nach außen zurecht zu rücken: „Der Beruf ist wunderschön. Jeder, der in diesem Bereich arbeitet oder eine Ausbildung absolviert, ist Imageträger und kann etwas bewegen. Die Aufgaben sind sehr vielfältig und es gibt kaum einen anderen Beruf, in dem man so viel Dankbarkeit erfährt. Geredet wird leider immer nur über negative Aspekte.“ Allerdings gibt er auch zu bedenken: „Theorie in der Ausbildung  und Praxis weichen oft stark voneinander ab. Es braucht den Mut, neue Ansätze auch in den Einrichtungen zu implementieren. Es ist frustrierend, die Geisel alter Strukturen oder eines Widerwillen gegen Neues zu sein. Es geht nicht um Kritik, sondern um Wissen am neuesten Stand.“

Strukturelle Herausforderung

Hier gibt es laut Müller einiges an Potential: „Die Ausbildung ist so vielfältig, Pflegepersonal lernt z.B. auch Abklopfen, Geräusche wahrzunehmen etc. Theoretisch könnten sie das bei den Patienten auch machen, genauso wie Mediziner. Es gibt auch entsprechende Weiterbildungen, etwa zum Wund- experten oder ,Clinical Assessment‘, zur Unterstützung der Diagnose. Das nützt allerdings alles nichts, wenn z.B. die Heimleitung weiter darauf besteht, einen Arzt zuzuziehen und das Gelernte nicht angewendet werden kann. Wenn hier kein entsprechendes Umfeld gegeben ist, dann hat das natürlich auswirkungen auf die Dropoutquote aus dem Beruf.“

Mehr Eigenverantwortung

Verantwortung tragen Pflegekräfte ohnehin schon viel, doch diese Beispiele zeigen, dass es oft unklar ist, was diplomierte Fachkräfte, Pflegefachassistenten oder Pflegeassistenten konkret dürfen und was nicht. Und der Experte ergänzt: „Beratungsaufgaben sollten z.B. ermöglicht, aber auch finanziell abgegolten werden.“ Als noch eher unausgereifte Idee sieht er „Community Health Nursing“, das in Österreich in letzter Zeit immer wieder auftaucht: „Es braucht keinen neuen Beruf, sondern eher erweiterte Kompetenzen für die bereits bestehenden Pflegeberufe. Eine Schnittstelle in Form einer ,Gemeindeschwester‘, die berät und Patienten unterstützt würde die Hausärzte entlasten und wäre eine Win-Win-Situation für alle.“

Die Ausbildung

Auch die Ausbildung sieht Müller im Wandel: „Diese muss an die Situation in der Praxis entsprechend angepasst werden können, um die Leute bestmöglich vorbereiten zu können. Ein guter Ansatz wäre für mich auch, die Praxiszeiten der Ausbildung, ähnlich wie auch bei der Polizei, zu bezahlen.“ Generell rechnet der Experte vor, dass künftig mehr Geld in die Hand genommen werden muss: „Aktuell liegen die Ausgaben für das Gesundheitswesen in Österreich bei 12 Prozent, 2030 bereits bei 24 Prozent. Umso wichtiger wird es, auf die Qualität der Ausbildung und die personellen Ressourcen zu achten.“ Apropos Ausbildung: Was vielen nicht bewusst ist, sind die vielfältigen Wege in den Pflegeberuf, wie die Gesundheitslandesrätin erklärt: „Beispielsweise in der Heimhilfe ist ein niederschwelliger Einstieg mit kurzer Ausbildungsdauer möglich, aber auch die Pflegeassistenz, die Pflegefachassistenz, die Bachelor-Ausbildung bis hin zum Doktorat – alles ist stufenweise möglich. Ebenso ist ein Einstieg über die Fach- oder Diplomsozialbetreuerausbildung mit Schwerpunkt Altenarbeit möglich.“

Berufswahlprämie

Fakt ist zudem, dass der Pflegeberuf weiblich ist. Etwas, das eine neue Initiative des Landes Tirol ansatzweise ändern will: Wenn Mädchen eine technische Ausbildung und Burschen eine Ausbildung im Alten- und Krankenpflegebereich sowie in der Elementarpädagogik absolvieren, erhalten jeweils 50 Frauen und 50 Männer unter 24 Jahren jährlich eine Berufswahlprämie über 2.000 Euro. Für diese Berufswahlprämie stehen für die Jahre 2021, 2022 und 2023 insgesamt 600.000 Euro zur Verfügung. Weitere Informationen unter www.tirol.gv.at/frauen

Sozialjahr?

Wäre ein verpflichtendes Sozialjahr für Burschen und Mädchen, eventuell auch eine Möglichkeit, den Pflegeberuf und seine Bedeutung mehr ins Bewusstsein zu rücken? „Ein Soziales Jahr ist derzeit noch nicht angedacht. Ich persönlich würde es befürworten, aber ich glaube, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist“, argumentiert Leja. Müller sieht dies ebenfalls nur als eine Option von vielen: „Zivildiener sind toll, doch ein Jahr in der Pflege ist nicht ideal – eben weil die Ausbildung und die Aufgaben so umfangreich sind. So wird wahrscheinlich auch ein falsches Bild vermittelt, wenn nur Hilfsarbeiten gemacht werden.“ In jedem Fall muss sich einiges tun. Wir sind gespannt, welche Maßnahmen konkret umgesetzt werden bzw. sich bewähren.

Zahlen & Fakten

Aktuell sind rund 140.000 Tiroler älter als 65 Jahre, 2030 werden es bereits knapp 180.000 sein.

Ca. 800 Personen werden aktuell in Pflegeberufen in Tirol ausgebildet.

Leistungsstunden in der mobilen Pflege: ca. 1.200.000 pro Jahr – Tendenz leicht steigend.

Betreute Personen in der mobilen Pflege: ca. 14.150 – Tendenz steigend.
 
Zahl der Mitarbeiter in der Pflege in den Alten- und Pflegeheimen: ca. 4.000 insgesamt bzw. ca. 3.000 Vollzeitäquivalente.

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Verpflichtendes Sozialjahr

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