Mit Kreide gegen sexuelle Belästigung
"Geiler Arsch", "fesch, fesch, ausziehen", "Weißt vielleicht ein Puff in der Nähe? Oder hast du Lust mitzukommen?" Vielen Grazern mögen solche Sprüche in den letzten Monaten öfters in der Landeshauptstadt untergekommen sein. Und zwar mit Kreide auf die Straßen und Gassen der Stadt geschrieben. Nicht gerade Sätze oder Bemerkungen, die gerne gelesen oder gesehen werden. Noch schlimmer ist es jedoch, wenn man sich solche Sprüche anhören muss - sei es am Nachhauseweg von der Universität, bei der wöchentlichen Laufrunde oder einfach beim Spazierengehen. Sexuelle Belästigung ist noch immer Teil des Alltags, vor allem beim weiblichen Geschlecht. Laut der "Österreichischen Prävalenzstudie zur Gewalt an Männern und Frauen" erleben 3 von 4 Frauen (74, 2 Prozent) sexuelle Belästigung. Diese passiert im Alltag, aber auch im Berufsleben. Im Jahr 2018 führte das Online-Portal Statista eine Umfrage zur Verbreitung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch. Rund die Hälfte der befragten Frauen gaben an, damit konfrontiert zu sein.
Catcalls of Graz
"Catcalls of Graz" hat es sich zur Aufgabe gemacht, sexuelle Belästigung in Graz sichtbar zu machen. Das Team schreibt Beleidigungen und explizite Sprüche, die ihnen via Mail oder Instagram gesendet werden, mit Kreide an jene Standorte in der Stadt, wo es passiert ist. Danach wird der Catcall fotografiert und auf Instagram gepostet. Zurückgescheut wird vor niemandem, selbst vor dem Rathaus gab es schon etwas zu lesen. Anklang findet das Projekt genug. Sarah Kampitsch, die Gründerin von "Catcalls of Graz" dazu: "Jedes Mal, wenn wir etwas Neues posten, schreiben uns erneut Leute und erzählen von ihren Erfahrungen. Es hört einfach nicht auf." Kampitsch möchte jedoch klar darauf hinweisen, dass es kein Verein für Frauen gegen Männer ist. Es ist jeder dazu eingeladen, seine Erlebnisse zu teilen. "Es gibt genug Männer, die sexuell belästigt werden. Ich glaube aber auch, dass Männer solche Sprüche von Frauen eher als Komplimente auffassen. Im Gegenzug catcallen sie dann vielleicht selbst, um etwas zurückzugeben", so Kampitsch. Wo wir bei einem großen Problem wären, nämlich der Tatsache, dass viele Männer noch immer glauben, dass solche Bemerkungen schmeichelnd seien. Kampitsch: "Ich wünsche mir, dass die Aktion zu einem Umdenken führt. Die Sender von Catcalls sollen einschätzen können, was angebracht ist und was nicht." Im Sommer 2019 startete sie die Aktion in Graz. Inspiriert wurde sie von "Catcalls of New York City", deren Instagram-Seite bereits mehrere tausende Follower aufweist. Mittlerweile ziehen immer mehr Städte nach, große wie auch kleine. Neben Graz werden in Österreich auch in Wien, Innsbruck, Linz oder Leoben die sogenannten Catcalls von Aktivisten angekreidet.
#chalkback
Apropos ankreiden: Gestern veranstaltete "Catcalls of Graz" ihr erstes Event am Grazer Hauptplatz. Jeder konnte kommen und seine Erfahrungen mit Kreide aufschreiben. Wem das zu persönlich war, konnte einfach aus eingeschickten Sprüchen wählen. Am Ende war der Hauptplatz bunt - mehr als 80 Catcalls standen dort. Schön anzusehen, aber traurig zu lesen. Bei der Veranstaltung wurde auch der neue Stammtisch ausgerufen. Jeden zweiten Dienstag im Monat kann man sich ab jetzt mit den Grazer Aktivisten treffen und sich über sexuelle Belästigung austauschen. Anmeldungen werden unter catcallsofgraz@gmail.com entgegengenommen. Die Idee zum Stammtisch kam durch die große Nachfrage. "Uns haben immer mehr Leute gefragt, wo sie uns denn kennenlernen können. Menschen wollen darüber reden und wir wollen ihnen einen Raum geben", meint Kampitsch. Denn: Sexuelle Belästigung ist da. Und muss angesprochen werden.
Interview mit Sarah Kampitsch (Gründerin von Catcalls of Graz)
weekend: Was hat dich dazu motiviert, das Projekt auch in Graz zu starten?
Ich habe die Aktion in New York über Instagram mitbekommen und mir dann gedacht, das könnte man auch nach Graz bringen. Mir sind solche Sprüche halt auch in meinem Umfeld aufgefallen. Ich bin am Land aufgewachsen und leider auch mit sexueller Belästigung aufgewachsen. Es wird einem ja früh eingetrichtert, dass das Komplimente sind. Aber erst später reflektiert man, dass es eben keine sind. Das ist das Problem. Wir merken nicht, dass wir sexuell belästigt werden und viele Männer merken nicht, dass sie es tun.
weekend: Das Projekt findet ja großen Anklang in Graz. Euch schreiben vermehrt Frauen. Haben Männer eine Hemmschwelle?
Es passiert halt vorwiegend Frauen. Aber ja, ich glaube, dass Männer, die sexuell belästigt werden, nicht wirklich darüber reden. Vor allem bei Männerrunden ist es ja oft noch der Fall, dass solche Bemerkungen als Kompliment abgetan werden. Da ist es nicht schlimm, dass dir jemand beim Vorbeigehen auf den Hintern greift. Vielleicht melden sich deswegen auch weniger Männer. Uns schreiben aber so viele Frauen und erzählen Geschichten, die sie lange verdrängt haben. Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen oder werden von ihrem Umfeld nicht ernst genommen. Es ist schön und traurig zugleich, dann eine Plattform bieten zu können.
weekend: Was glaubst du, braucht es noch, um sexueller Belästigung entgegenzuwirken?
Es braucht einen Raum für die Diskussion. Ich kann nicht nur sagen, dass mir das nicht gefällt oder ich das nicht möchte, sondern muss auch erklären warum es so ist. In dem Moment, in dem es gerade passiert, ist das oft schwierig. Viele Leute schreiben uns und fragen, wie man denn am besten in so einer Situation reagiert. Das kann ich aber nicht beantworten, denn jeder Mensch ist anders. Du kannst auf Sender von Catcalls treffen, die sich im Nachhinein entschuldigen und einsehen, dass es falsch war. Du kannst aber genauso auf jemanden treffen, der deine Empörung ignoriert und weitermacht. Es braucht einfach einen Dialog.