Zwischen Klassik und Moderne: Ulrich Lenz im Interview
Was sind die größten Herausforderungen, denen sich ein Opernhaus heute stellen muss?
Lenz: Da gibt es ganz viele auf einmal! Es muss bei stetig steigenden Kosten in allen Bereichen weiterhin auf finanziellen Ausgleich bedacht sein, ohne das Programm reduzieren zu können. Es muss den stetig steigenden Verwaltungsaufwand bewältigen, ohne nennbar mehr Personal einstellen zu können. Es muss sich gegen eine fortwährend wachsende Zahl an Unterhaltungsangeboten behaupten. Es sollte als von Stadt und Land subventionierte Institution ein breites Publikum ansprechen, ohne dabei aber die eigene Identität zu verlieren. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen …
Nach welchen Kriterien wählen Sie die Stücke aus? Wie balancieren Sie zwischen klassischen und modernen Werken?
Lenz: Balance ist genau das richtige Wort! Ein Spielplan muss eine gute Mischung aus unterschiedlichen Genres (Oper, Operette, Musical, Ballett) und Epochen (von der Barockoper bis zur zeitgenössischen Oper), aus „Blockbustern“, weniger bekannten Werken und Neuentdeckungen sein. Das lässt sich meist in einer Spielzeit gar nicht alles unterbringen. Da muss man schon in größeren Zeitspannen denken und planen.
Wie sieht Ihr Ansatz aus, um ein jüngeres Publikum für die Oper zu begeistern?
Lenz: Für die ganz Jungen gibt es jede Spielzeit ein Familienmusical. Nächste Spielzeit wird dies Die wunderbare Reise des Nils Holgersson, eine Uraufführung, sein. Daneben gibt es mehrere Familienkonzerte und für die Älteren ein Konzertformat, das wir ConcerTeen genannt haben. Außerdem gibt es ein reichhaltiges Vermittlungsprogramm unserer Abteilung OperAktiv! Nicht zuletzt sind ja auch viele Werke des allgemeinen Repertoires durchaus attraktiv für jüngere Menschen.
Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die Oper Graz in der kommenden Spielzeit?
Lenz: In der kommenden Spielzeit gibt es etwas zu feiern: Vor 125 Jahren wurde das großartige Grazer Opernhaus gebaut! Das feiern wir mit zwei besonderen Produktionen, die alle Kräfte des Hauses erfordern: Richard Wagners Tannhäuser und Die Trojaner von Hector Berlioz. Letzteres wird zum allerersten Mal in Graz aufgeführt! Dazwischen und danach geht es wieder um die richtige Balance: Von Rossinis opera buffa La Cenerentola über Cole Porters Musical Silk Stockings bis zu Mozarts Così fan tutte und Franz Lehárs Alpenoperette Schön ist die Welt ist hoffentlich für alle etwas dabei. Sogar für SK Sturm-Fans: eine konzertante Fußballoperette, bei der auch Spieler des frischgebackenen Meisters auf der Bühne stehen werden!
Zur Person
Ulrich Lenz studierte Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in München, Berlin und Mailand. Seine Theaterlaufbahn begann er in der Spielzeit 1997/98 als Dramaturgieassistent an der Staatsoper Stuttgart. In den darauffolgenden Jahren war er als Operndramaturg am Landestheater Linz und am Nationaltheater Mannheim tätig. 2006 wurde er Chefdramaturg an der Staatsoper Hannover, wo er bis 2011 wirkte. Von 2012 bis 2022 prägte er als Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin im Team von Barrie Kosky die programmatische Ausrichtung des Hauses wesentlich mit. Gastengagements als Produktionsdramaturg führten Ulrich Lenz unter anderem an das Aalto-Theater Essen, die English National Opera, das Royal Opera House Covent Garden und zu den Bayreuther Festspielen. Lenz verfasste Libretti zu neuen Musiktheaterwerken und übertrug fremdsprachige Opern ins Deutsche. Zudem ist er Mitherausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Bücher zu den Themenbereichen lnterkultur im Kulturbetrieb, Operette und Musiktheater für Kinder. Seit Beginn der Spielzeit 2023/24 ist Ulrich Lenz Geschäftsführender Intendant der Oper Graz.